Liebe Brüder und Schwestern!
Aus Anlass des 70. Jahrestages der Apostolischen Konstitution Provida Mater Ecclesiae hat Euch die italienische Konferenz der Säkularinstitute unter dem Patrozinium der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens zusammengerufen zum Thema: »Darüber hinaus und mitten drin. Säkularinstitute: Geschichten der Leidenschaft und Prophetie für Gott und die Welt«. An alle richte ich meinen herzlichen Gruß, verbunden mit guten Wünschen für eine erfolgreiche Tagung.
Das Dokument von Papst Pius XII. war in gewissem Sinne revolutionär, denn es umriss eine neue Form der Weihe: die Weihe von Laien und Diözesanpriestern, die berufen sind, die evangelischen Räte im säkularen Umfeld zu leben, in das sie durch ihre Lebenssituation oder ihren pastoralen Dienst eingetaucht sind. Die Neuheit und Fruchtbarkeit der Säkularinstitute besteht also darin, Weihe und Säkularität zu verbinden und dabei ein Apostolat des Zeugnisses und der Evangelisierung zu praktizieren, was besonders für die Priester gilt, sowie ein Apostolat des christlichen Engagements im sozialen Leben, was besonders für die Laien gilt, wozu noch die Brüderlichkeit hinzukommt, die wahre Gemeinschaft ist, auch ohne von einer Lebensgemeinschaft bestimmt zu sein.
Auf der von Provida Mater vorgegebenen Linie seid Ihr heute gerufen, in Christus und in seinem Heiligen Geist demütige und leidenschaftliche Überbringer des Sinnes der Welt und der Geschichte zu sein. Eure Leidenschaft entsteht aus dem immer neuen Staunen über Jesus, den Herrn, über seine einzigartige Weise zu leben und zu lieben, den Menschen zu begegnen, das Leben zu heilen, Trost zu spenden. Daher handelt es sich bei Eurem »In-der-Welt-Sein« nicht nur um eine soziologische, sondern auch um eine theologische Situation, die es Euch erlaubt, aufmerksam zu sein, zu sehen, zu hören, mit-zuleiden, Euch mit-zufreuen und Nöte zu erahnen. Das heißt, auf sehr konkrete Weise prophetische Präsenz zu sein. Es bedeutet, das von Gott gehörte Wort in die Welt zu tragen, in die Situationen, in denen man lebt. Das ist das eigentliche Merkmal der Laien: Jenes Wort sagen zu können, das Gott über die Welt zu sagen hat. Wo »sagen« nicht so sehr sprechen bedeutet als vielmehr handeln. Wir sagen das, was Gott zur Welt sagen will, indem wir in der Welt handeln.
Das ist sehr wichtig. Besonders in einer Zeit wie der unseren, in der angesichts der Schwierigkeiten die Versuchung aufkommen kann, sich im eigenen bequemen, sicheren Umfeld zu isolieren und sich aus der Welt zurückzuziehen. Auch Ihr könntet in diese Versuchung geraten. Aber Euer Platz ist das »Mitten-drin-Sein« als Präsenz, die im Sinne des Evangeliums verwandelnd wirkt. Sicherlich ist das schwierig: Es ist ein Weg, auf dem das Kreuz nicht fehlt, aber der Herr will diesen Weg mit Euch gehen.
Eure Berufung und Mission besteht darin, einerseits aufmerksam auf die Euch umgebende Wirklichkeit zu achten und Euch stets zu fragen: Was geschieht? Dabei sollt Ihr nicht an der Oberfläche stehenbleiben, sondern in die Tiefe gehen. Andererseits sollt Ihr auf das Geheimnis Gottes achten, um zu erkennen, wo er sich offenbart: aufmerksam für die Welt mit einem in Gott versenkten Herzen. Abschließend möchte ich Euch einige geistliche Haltungen vorschlagen, die Euch auf diesem Weg helfen können und die man in fünf Verben zusammenfassen kann: beten, unterscheiden, teilen, Mut machen und Sympathie entgegenbringen. Beten, um mit Gott vereint zu sein, seinem Herzen nahe zu sein. Seine Stimme hören bei jedem Ereignis des Lebens, indem man ein lichtvolles Leben lebt, das Evangelium in die Hand nimmt und es ernst nimmt.
Unterscheiden bedeutet, das Wesentliche von Nebensächlichem zu trennen wissen. Es bedeutet, jene Tag für Tag zu kultivierende Weisheit zu verfeinern, die zu erkennen erlaubt, welche Verantwortung man übernehmen muss und welche Aufgaben Priorität haben. Es handelt sich dabei um einen persönlichen, aber auch einen gemeinschaftlichen Weg, für den individuelles Bemühen nicht ausreicht.
Teilen: Das Schicksal jedes Mannes und jeder Frau teilen. Auch wenn die Ereignisse der Welt tragisch und düster sind, überlasse ich die Welt nicht ihrem Schicksal, weil ich sie wie Jesus und mit Jesus liebe bis zuletzt.
Mut machen: Mit der Gnade Christi niemals das Vertrauen verlieren, das in allem das Gute zu sehen weiß. Es ist auch eine Aufforderung, die in jeder Eucharistiefeier an uns ergeht: »Erhebet die Herzen!
Sympathie entgegenbringen: der Welt und den Menschen. Auch wenn diese alles tun, damit wir sie verlieren. Beseelt sein von der Sympathie, die vom Geist Christi kommt, der uns zu freien, leidenschaftlichen Menschen macht, der uns »mitten drin« sein lässt wie das Salz und der Sauerteig.
Liebe Brüder und Schwestern, mögt Ihr in der Welt sein wie die Seele im Leib (vgl. Brief an Diognet VI,1), Zeugen der Auferstehung Jesu, des Herrn. Das ist mein Wunsch für Euch, den ich mit meinem Gebet und meinem Segen begleite.
Aus dem Vatikan, 23. Oktober 2017
Liebe Mitbrüder im Episkopat,
wir feiern den siebzigsten Jahrestag der Promulgation der Apostolischen Konstitution Provida Mater Ecclesia (2. Februar 1947) und des Motu proprio Primo Feliciter (19. März 1948), eine gute Gelegenheit, um dem Herrn für die Gabe dieser Berufung zu danken, die dazu aufruft, die Herausforderungen des heutigen Lebens mit Leidenschaft zu erleben und die Zukunft hoffnungsvoll und mit offenen Armen zu empfangen.
Die Identität der Säkularinstitute hat sich im Laufe der Jahre schrittweise geklärt, über die offiziellen Züge, die die Kirche mit Provida Mater Ecclesia, Primo Feliciter, den Kodex des Kanonischen Rechts und das päpstliche Lehramt von Paul VI. bis zu Papst Franziskus aufgezeigt hat. Das Dokument Die Säkularinstitute. Ihre Identität und ihre Mission, das dieses Dikasterium der Plenarkongregation (3. – 6. Mai 1983) vorgelegt hat, bleibt von großer Aktualität.
Ebenso wichtig ist das, was die Säkularinstitute durch das Leben der Personen, die das entsprechende Charisma verkörpert haben, über sich selbst verstanden haben. Es handelt sich um einen komplexen Weg, weil er durch die konkreten Formen führt, auf die die geweihte Weltlichkeit ihr Vorhandensein zu interpretieren wusste, und damit ihre Sendung in der Welt und der Kirche. Ein Weg, der weitergeht, da er in enger Verbindung mit der Entwicklung der Kirche und der Welt steht.
Wir präsentieren diesen Reichtum, der Gegenstand unserer Überlegungen ist, damit er geteilt wird und durch euer Hirtenamt zum Schatz der gesamten Glaubensgemeinschaft wird.
Improvisierte Ansprache von Papst Franziskus:
Ich habe eine Ansprache für euch geschrieben, aber heute ist etwas dazwischengekommen. Das ist meine Schuld, weil ich zwei Audienzen, ich will nicht sagen zur gleichen Zeit gegeben habe, aber fast. Deshalb habe ich es vorgezogen, euch die Ansprache zu übergeben – denn sie vorzulesen ist langweilig – und euch zwei oder drei kleine Dinge zu sagen, die euch vielleicht helfen werden.
Seit der Zeit, als Pius XII. daran gedacht hat, und dann mit der Apostolischen Konstitution Provida Mater Ecclesia, war es eine revolutionäre Geste in der Kirche. Die Säkularinstitute sind wirklich eine Geste des Mutes, die die Kirche in jenem Augenblick vollbracht hat: den Säkularinstituten eine Struktur zu geben, sie zu institutionalisieren.
Und seit jener Zeit bis heute ist das Gute, das ihr in der Kirche tut, sehr groß, und ihr tut das mit Mut, denn es braucht Mut, um in der Welt zu leben. Viele von euch allein, in ihrer Wohnung, sie kommen und gehen; einige in kleinen Gemeinschaften. Tag für Tag, das Leben eines Menschen leben, der in der Welt lebt, und zugleich die Kontemplation zu wahren, diese kontemplative Dimension auf den Herrn hin und auch gegenüber der Welt, die Kontemplation der Wirklichkeit, so die Schönheiten der Welt betrachten und auch die großen Sünden der Gesellschaft, die Irrwege, all diese Dinge, und immer in geistlicher Spannung… Daher ist eure Berufung faszinierend, weil es eine Berufung ist, die genau dorthin führt, wo nicht nur das Heil der Menschen, sondern auch das der Institutionen auf dem Spiel steht. So vieler weltlicher Institutionen, die in der Welt notwendig sind. Deshalb denke ich, dass die Kirche mit Provida Mater Ecclesia eine wahrhaft revolutionäre Geste vollbracht hat!
Ich wünsche euch, dass ihr immer diese Haltung des Darüber-Hinaus-Gehens beibehalten mögt, nicht nur darüber hinaus, sondern darüber hinaus und mitten hinein, da, wo alles auf dem Spiel steht: Politik, Wirtschaft, Erziehung, Familie… dorthin! Vielleicht ist es möglich, dass ihr die Versuchung spürt: »Aber ich, was kann ich da tun?« Wenn euch diese Versuchung kommt, dann denkt daran, dass der Herr vom Weizenkorn gesprochen hat! Und euer Leben ist wie das Weizenkorn… dort; es ist wie der Sauerteig… dort.
Und alles in eurer Macht Stehende tun, damit das Reich Gottes kommt, damit es wächst und groß sei und auch dass es vielen Menschen Schutz gibt, wie der Senfbaum. Denkt daran. Ein kleines Leben, eine kleine Geste; ein normales Leben, aber Sauerteig, Samen, der wachsen lässt. Und das gibt euch Trost. Die Ergebnisse bei dieser Bilanz in Bezug auf das Reich Gottes sieht man nicht. Nur der Herr lässt uns etwas erkennen… Wir werden die Ergebnisse dort oben sehen. Und deshalb ist es wichtig, dass ihr sehr viel Hoffnung habt! Das ist eine Gnade, um die ihr den Herrn bitten müsst, immer: die Hoffnung, die nie enttäuscht. Sie enttäuscht nie! Eine Hoffnung, die vorangeht. Ich würde euch raten, sehr oft das elfte Kapitel des Hebräerbriefs zu lesen, dieses Kapitel über die Hoffnung. Und zu lernen, dass so viele unserer Vorfahren diesen Weg gegangen sind und keine Resultate gesehen haben, aber sie haben sie von fern gegrüßt. Die Hoffnung… Das ist es, was ich euch wünsche. Vielen Dank für all das, was ihr in der Kirche tut; vielen Dank für eure Gebete und Taten. Danke für die Hoffnung. Und vergesst es nicht: Seid revolutionär!
* * *
Vorbereitete Rede des Papstes: Liebe Brüder und Schwestern!
Ich empfange euch anlässlich eurer Versammlung und begrüße euch, indem ich euch sage: Ich kenne und schätze eure Berufung! Sie ist eine der jüngsten Formen des von der Kirche anerkannten und approbierten geweihten Lebens und daher wird sie vielleicht noch nicht in ganzer Fülle verstanden. Verliert nicht den Mut: Ihr gehört zu jener armen Kirche »im Aufbruch«, von der ich träume! Aus Berufung seid ihr Laien und Priester wie die anderen und mitten unter den anderen. Ihr führt ein gewöhnliches Leben, ohne äußere Zeichen, ohne die Unterstützung eines Gemeinschaftslebens, ohne die Sichtbarkeit eines organisierten Apostolats oder besonderer Werke. Ihr seid nur reich an der allumfassenden Erfahrung der Liebe Gottes und seid daher in der Lage, die Mühe des Lebens in seinen zahlreichen Formen zu erkennen und zu teilen und sie mit dem Licht und der Kraft des Evangeliums zu durchdringen. Ihr seid Zeichen jener dialogisierenden Kirche, von der Paul VI. in der Enzyklika Ecclesiam suam spricht. Er sagt: »Die Welt wird nicht von außen gerettet. Man muss, wie das menschgewordene Wort Gottes, gewissermaßen mit den Lebensformen derjenigen eins werden, denen man die Botschaft Christi bringen will; man muss, ohne Rücksicht auf Privilegien oder ohne die Trennungswand einer unverständlichen Sprache, die allgemeine Gewohnheit annehmen, wenn sie nur menschenwürdig und lauter ist, vor allem jene der Kleinsten, wenn man gehört und verstanden sein will. Noch bevor man spricht, muss man auf die Stimme, ja sogar auf das Herz des Menschen hören; man muss ihn verstehen und, soweit möglich, achten und, wo es sich geziemt, ihm auch Recht geben. Wir müssen Brüder der Menschen werden in demselben Augenblick, wo wir ihre Hirten, Väter und Lehrer sein wollen. Das Klima des Dialogs ist die Freundschaft, ja der Dienst« (Nr. 90).
Das Thema eurer Versammlung – »Im Herzen des menschlichen Lebens: die Herausforderungen einer komplexen Gesellschaft« – zeigt den Bereich eurer Sendung und eurer Prophetie auf. Ihr seid in der Welt, aber nicht von der Welt, und tragt das Wesentliche der christlichen Botschaft in euch: die erlösende Liebe des Vaters. Ihr seid mit dem Herzen Gottes im Herzen der Welt. Eure Berufung schenkt euch Interesse an jedem Menschen und an seinen tiefsten Wünschen, die oft unausgesprochen oder verborgen bleiben. Kraft der Liebe Gottes, dem ihr begegnet seid und den ihr erkannt habt, seid ihr fähig zu Nähe und Zärtlichkeit. So könnt ihr so nahe sein, dass ihr den anderen, seine Wunden und seine Erwartungen, seine Fragen und seine Nöte berührt, mit jener Zärtlichkeit, die Ausdruck einer Fürsorge ist, die jede Distanz überwindet. Wie der Samariter, der hinging und sah und Mitleid hatte. Hier ist die Bewegung, zu der eure Berufung euch verpflichtet: zu jedem Menschen hinzugehen und jedem, dem ihr begegnet, zum Nächsten zu werden; denn euer Verbleiben in der Welt ist nicht einfach eine soziologische Gegebenheit, sondern eine theologische Wirklichkeit, die euch aufruft zu einem bewussten, aufmerksamen Dasein, das den Leib des Bruders wahrnimmt, sieht und berührt.
Wenn das nicht geschieht, wenn ihr unachtsam geworden seid, oder – noch schlimmer – die gegenwärtige Welt nicht kennt, sondern nur die Welt kennt, die für euch am bequemsten ist oder die euch am meisten anzieht, und in dieser verkehrt, dann ist eine Umkehr dringend notwendig! Eure Berufung ist von ihrem Wesen her eine Berufung »im Aufbruch«, nicht nur, weil sie euch zum anderen bringt, sondern auch und vor allem, weil sie von euch verlangt, dort zu wohnen, wo jeder Mensch wohnt.
Italien ist die Nation mit der größten Zahl an Säkularinstituten und Mitgliedern. Ihr seid ein Sauerteig, der gutes Brot für alle hervorbringen kann, jenes Brot, nach dem der Hunger groß ist: das Anhören der Nöte, der Wünsche, der Enttäuschungen, der Hoffnung. Wie jene, die euch in eurer Berufung vorausgegangen sind, könnt ihr den jungen Menschen wieder Hoffnung schenken, den alten Menschen helfen, Wege zur Zukunft öffnen, an jedem Ort und in jeder Situation die Liebe verbreiten. Wenn das nicht geschieht, wenn es eurem täglichen Leben an Zeugnis und Prophetie mangelt, dann – das sage ich euch noch einmal – ist eine Umkehr dringend notwendig!
Verliert nie den Impuls, auf den Straßen der Welt unterwegs zu sein, das Bewusstsein, dass Unterwegssein – auch mit unsicherem Schritt oder auf lahmenden Beinen – stets besser ist als Stillstand, verschlossen in den eigenen Fragen oder in den eigenen Sicherheiten. Die missionarische Leidenschaft, die Freude der Begegnung mit Christus, die euch drängt, mit den anderen die Schönheit des Glaubens zu teilen, lässt die Gefahr, im Individualismus steckenzubleiben, in die Ferne rücken. Das Denken, das den Menschen als Urheber seiner selbst darstellt, nur von den eigenen Entscheidungen und von den eigenen Wünschen geleitet, oft mit dem scheinbar schönen Gewand der Freiheit und der Achtung bekleidet, birgt die Gefahr, die Grundlagen des geweihten Lebens, besonders des geweihten Lebens in der Welt, zu untergraben. Es ist dringend notwendig, das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu eurer Berufungsgemeinschaft neu zu schätzen, die, gerade weil sie nicht auf einem gemeinsamen Leben gründet, ihre Stärken im Charisma findet. Wenn daher ein jeder von euch für die anderen eine kostbare Gelegenheit zur Begegnung mit Gott ist, dann geht es um die wiederzuentdeckende Verantwortung, als Gemeinschaft Prophezeiung zu sein, und gemeinsam mit Demut und Geduld ein sinnstiftendes Wort zu finden, das ein Geschenk für das Land und für die Welt sein kann, und es mit Einfachheit zu bezeugen. Ihr seid gleichsam »Antennen«, die bereit sind, aufkeimende Neuheiten zu erfassen, die vom Heiligen Geist erweckt werden, und könnt der kirchlichen Gemeinschaft helfen, diesen guten Blick anzunehmen und neue und mutige Wege zu finden, um alle zu erreichen.
Arm unter den Armen, aber mit glühendem Herzen. Nie im Stillstand, immer unterwegs. Gemeinsam und gesandt, auch wenn ihr allein seid, denn die Weihe macht euch zu einem lebendigen Funken der Kirche. Immer unterwegs mit jener Tugend, die eine pilgernde Tugend ist: die Freude! Danke, ihr Lieben, für das, was ihr seid. Der Herr segne euch, und die Gottesmutter schütze euch. Und betet für mich!
Kongregation für die Institute geweihten Lebens und die Gesellschaften apostolischen Lebens
Jahr des geweihten Lebens
Rallegratevi – Freut euch!
Rundschreiben an die geweihten Personen
Impulse aus lehramtlichen Äußerungen von Papst Franziskus
»Ich wollte euch ein Wort mitgeben und dieses Wort ist Freude.
Überall, wo es Gott geweihte Menschen gibt, herrscht immer Freude!«*
Papst Franziskus
Liebe Brüder und Schwestern,
„Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. ... Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude.“1
Die Einleitung des Apostolischen Schreibens Evangelii Gaudium erklingt im Gefüge der Lehre von Papst Franziskus mit außerordentlicher Lebendigkeit: Sie beruft zum wunderbaren Geheimnis der Guten Nachricht, die das Leben dessen verändert, der sie im Herzen aufnimmt. Es wird uns eine Parabel der Freude erzählt: Die Begegnung mit Jesus entzündet in uns die ursprüngliche Schönheit eines Gesichts, auf dem die Herrlichkeit des Vaters wider strahlt (vgl. 2 Kor 4,6), in der Frucht der Freude.
Die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und für die Gemeinschaften des apostolischen Lebens fordert dazu auf, in dieser Zeit der Gnade über die besondere Einladung nachzudenken, die der Papst an die Ordensleute richtet.
Diese Lehre anzunehmen bedeutet eine Erneuerung unseres Lebens gemäß dem Evangelium, nicht in der Weise eines Vollkommenheitsmodells, das auf eine radikale Trennung (von der Welt) ausgerichtet ist, sondern in der Zustimmung mit ganzem Herzen zu einer heilsamen Begegnung, die das Leben verwandelt. „Es geht darum, alles zu verlassen, um dem Herrn nachzufolgen. Nein, ich möchte es nicht ‚radikal‘ nennen. Die evangelische Radikalität ist nicht nur eine Sache der Ordensleute, sondern wird von allen verlangt. Aber die Ordensleute folgen dem Herrn auf eine besondere, prophetische Art und Weise nach. Ich erwarte mir dieses Zeugnis von euch. Die Ordensleute müssen Männer und Frauen sein, die imstande sind, die Welt aufzuwecken“.2
In menschlicher Begrenzung und in der alltäglichen Sorge leben Ordensfrauen und -männer die Treue, indem sie Rechenschaft von der Freude geben, die sie beseelt. Sie werden ein leuchtendes Zeugnis, eine wirksame Botschaft, eine begleitende Nähe für Frauen und Männer unserer Zeit, die in der Kirche ein offenes Vaterhaus suchen.3 Indem Franz von Assisi das Evangelium zur Richtschnur seines Lebens nahm, „ließ er den Glauben wachsen und erneuerte die Kirche; gleichzeitig erneuerte er die Gesellschaft, machte sie geschwisterlicher, aber immer durch das Zeugnis des Evangeliums. Predigt das Evangelium allezeit, wenn nötig auch mit Worten.“4
Zahlreich sind die Anregungen, die uns aus dem Hören auf die Worte des Paps-tes erwachsen, aber besonders fordert uns die völlige Einfachheit heraus, mit der er seine Lehre vorträgt, sich an die entwaffnende Echtheit des Evangeliums angleichend: Ein Wort ohne rhetorischen Glanz (sine glossa), gesät mit der großzügigen Geste eines vertrauensvol-len Sämanns, der zwischen dem jeweiligen Boden keinen Unterschied macht. Es ist eine glaubwürdige Einladung, die an uns mit unbeschwertem Vertrauen gerichtet ist, eine Einladung, institutionelle Erwägungen und persönliche Rechtfertigungen zu annullieren, eine provozierende Anfrage an unseren Lebensstil, der manchmal träge und schläfrig geworden ist und sich oft an der Herausforderung vorbei mogelt: Wenn ihr einen Glauben wie ein Senfkorn hättet … (Lk 17,5). Eine Einladung, die uns ermutigt, unseren Geist in Bewegung zu setzen, um dem (göttlichen) Wort, das unter uns Wohnung genommen hat, Raum zu geben, und dem Geist, der die Kirche erschafft und dauernd erneuert.
Dieser Rundbrief ist in der vorstehen-den Einladung begründet und möchte eine gemeinsame Reflexion anstoßen, sich schlicht als Mittel anbietend, einen ehrlichen Vergleich zwischen Evange-lium und Leben anzustellen. Die Kongregation hofft, auf dem Weg hin zum Jahr 2015, dem Jahr des geweihten Lebens, einen gemeinsamen Weg der Reflexion zu starten – auf persönlicher, geschwisterlicher und institutioneller Ebene – mit dem Ziel, evangeliumsgemäße Entscheidungen zu wagen, reich an Früchten einer freudigen Erneuerung. „Der Vorrang Gottes ist für die menschliche Existenz Fülle von Bedeutung und Freude, weil der Mensch für Gott geschaffen und unruhig ist, bis er in ihm Frieden findet.“5
Seid fröhlich, freut euch, strahlt Freude aus!
»Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt! Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart. Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum! Denn so spricht der Herr: Seht her, wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und den Reichtum der Völker wie einen rauschenden Bach. Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln. Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost. Wenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen, und ihr werdet aufblühen wie frisches Gras. So offenbart sich die Hand des Herrn an seinen Knechten.« Jes 66, 10-14
Zuhören
Mit dem Begriff der Freude (hebrä-isch: śimhâ,. śamah,. gyl) möchte die Heilige Schrift eine Vielfalt individueller wie gemeinschaftlicher Erfahrungen ausdrücken, die besonders auch mit religiösen Feiern und Festen verbunden sind, wo sich Gottes Gegenwart in der Geschichte Israels wiedererkennen lässt. In der Bibel gibt es 13 verschiedene Verben und Substantive, um die Freude Gottes, die Freude des Menschen und die Freude der Geschöpfe zu beschreiben.
Im Alten Testament, besonders in den Psalmen und beim Propheten Jesaja, finden wir die zahlreichsten Belegstellen. Mit schöpferischer Abwechslung und sprachlicher Originalität werden wir vielfach zur Freude eingeladen; die Freude der Nähe Gottes wird aus-gerufen, die Freude über das, was er geschaffen hat. In den Psalmen finden sich hundertfach die eindringlichsten Äußerungen, die entweder die Freude als Frucht der gnadenhaften Gegenwart Gottes anzeigen, die ein jubelndes Echo hervorruft, oder die großen Verheißungen für die Zukunft seines Volkes be-zeugen. Was den Propheten betrifft, ist es gerade der zweite und dritte Teil der Jesajarolle, der von diesem häufigen Hinweis auf die künftige Freude geprägt ist: Sie wird überfließend sein (Jes 9,2), der Himmel, die Wüste und die Erde werden voll Freude jubeln (Jes 35,1; 44,23; 49,13), befreite Gefangene wer-den unter Freudenrufen nach Jerusalem zurückkehren (Jes 35,9f.; 51,11).
Im Neuen Testament ist das bevorzugte Wort für ‚Freude‘ mit der Wurzel char verbunden, aber es finden sich auch andere Begriffe wie agalliáomai, euphrosynê. Gewöhnlich schließt das einen ungebrochenen Jubel ein, der sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft umfasst . Freude ist das messianische Geschenk par excellence, so wie Jesus selbst verspricht: Meine Freude möge in euch sein und eure Freude soll vollkommen sein (Joh 15,11; 16,24; 17,13).
Lukas unterstreicht seit den Ereignissen, die der Geburt des Erlösers vorangehen, die Verbreitung überschäumender Freude (vgl. Lk 1,14.44.47; 2,10; Mt 2,10) und zeigt, wie diese die Verbreitung der Guten Nachricht begleitet (vgl. Lk 10,17; 24,41.52). Freude ist das typische Zeichen für die Gegenwart und die Ausbreitung des Gottesreiches (vgl. Lk 15,7.10.32; Apg 8,39; 11,23; 15,3; 16,34; vgl. Röm 15,10-13 usw).
Bei Paulus ist Freude als Frucht des Geistes (vgl. Gal 5,22) ein typisches und beständiges Zeichen des Gottesreiches (vgl. Röm 14,17), das sogar inmitten von Prüfungen und Mühsal verstärkt wird (vgl. 1 Thess 1,6). Im Gebet, in der Liebe, im unablässigen Dank sehen wir die Quelle der Freude (vgl. 1 Thess 5,16; Phil 3,1; Kol 1,11). In den Bedrängnissen fühlt sich der Apostel der Heiden voll Freude und der Herrlichkeit teilhaftig, die wir alle erwarten (vgl. 2 Kor 6,10; 7,4; Kol 1,24). Der endgültige Triumph Gottes und die Hochzeit des Lammes werden alle Freude und allen Jubel (Offb 19,7) in ein kosmisches Halleluja ausbrechen lassen (Offb 19,6). Um die volle Bedeutung dieses Textes zu erfassen, bieten wir jetzt eine kurze Erklärung der Jesaja-Stelle 66,10: Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr. Das ist das Ende des dritten Teiles des Propheten Jesaja. Man muss dabei bedenken, dass die Kapitel 65 und 66 eng miteinander verbunden sind und einander ergänzen, wie es schon im Abschluss des zweiten Teils (Kap 54-55) offensichtlich war. Beide Kapitel sprechen das Thema Vergangenheit an, manchmal in schroffer Bildersprache, doch mit der Einladung, diese zu vergessen, weil Gott ein neu-es Licht leuchten lassen will, das ein Vertrauen erweckt, das alle erlittene Untreue und Grausamkeit heilen wird. Der frühere Fluch, eine Folge des Bundesbruchs, wird verschwinden, weil Gott Jerusalem ein Freudenfest bereiten will (vgl. Jes 65,18). Der Beweis dafür ist, dass Gott antwortet, sogar noch bevor er angerufen wird (vgl. Jes 65,24). Dieses Thema setzt sich in den Eröffnungsversen von Jes 66 und noch später fort, wobei die Verschlossenheit der Herzen und Ohren gegenüber der Güte des Herrn und seinem Wort der Hoffnung hervorgehoben wird.
Wir finden den eindrucksvollen Vergleich zwischen Jerusalem und einer Mutter, der sich aus den Verheißungen des Jesaja ergibt (Jes 49,18-29; 54,1-3). Plötzlich füllt sich das Land Juda mit Flüchtlingen, die aus der Demütigung der babylonischen Gefangenschaft heimkehren. Das Wort der Befreiung hat Zion sozusagen mit neuem Leben und neuer Hoffnung ‚befruchtet‘, und Gott der Herr wird diese Schwangerschaft zu Ende führen, so dass sie ohne Mühe neue Kinder gebären wird. So ist die Mutter Zion von Kindern umgeben und zeigt sich ihnen als großzügige und zärtliche Ernährerin. Dieses liebliche Bild hat die hl. Theresia von Lisieux fasziniert und ist ein entscheidender Schlüssel zu ihrer Spiritualität.6Eindringliche Begriffe sind hier gehäuft: freut euch, jubelt, strahlt, aber auch: Trost, Entzücken, Fülle, Reichtum, Liebkosung etc. Das Volk, dem der Bezug zu Treue und Liebe geschwunden war, war in Traurigkeit und Unfruchtbarkeit verfallen. Aber jetzt bringt Gottes Macht und Heiligkeit die Fülle von Lebenssinn und Glück zurück, die in Begriffen ausgedrückt werden, die den affektiven Wurzeln jedes Menschen entspringen und einzigartige Gefühle von Zärtlichkeit und Geborgenheit er-wecken.
Das ist ein sanftes, aber wahres Profil eines Gottes, der von mütterlichen Regungen und tiefen Gefühlen bewegt ist. Eine Freude des Herzens (vgl. Jes 66,14) geht von Gott aus – der das Gesicht einer Mutter zeigt und seinen Arm erhebt – und verbreitet sich inmitten eines Volkes, das von unzähligen Demütigungen gezeichnet ist und dessen Knochen daher brüchig sind. Es ist eine gnadenhafte Verwandlung, die sich festlich zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde erweitert (vgl. Jes 66,22), damit alle Völker die Herrlichkeit des Herrn erkennen können, des treuen Erlösers.
Freude, die Schönheit der Weihe
„Das ist die Schönheit der Weihe: die Freude, die Freude …“.7 Die Freude, allen den Trost Gottes zu bringen. Das sagte Papst Franziskus während seiner Zusammenkunft mit Seminaristen, Novizen und Novizinnen. „Es gibt keine Heiligkeit im Betrübtsein!“8 fährt der Heilige Vater fort, denn wie der hl. Paulus sagte: „Trauert nicht wie die anderen, die keine Hoffnung haben“ (1 Thess 4,13). Die Freude ist kein überflüssiges Ornament, sie ist ein notwendiges Fundament des menschlichen Lebens. Inmitten der Sorgen jedes Tages strebt jeder Mann und jede Frau mit dem ganzen Sein danach, zur Freude zu gelangen und darin zu bleiben.
Diese Freude fehlt unserer Welt oft. Unsere Berufung ist es nicht, heldenhafte Taten zu vollbringen oder hochtrabende Worte zu machen, sondern die Freude zu bezeugen, die aus der Gewissheit stammt, von Gott geliebt zu sein, und aus dem Vertrauen, zu den Erlösten zu gehören.
Unser kurzes Gedächtnis und unsere matte Erfahrung hindern uns oft daran, die „Länder der Freude“ zu erreichen, wo man Gottes Widerschein verspüren kann. Dabei hätten wir tausend Grün-de, in der Freude zu verbleiben, die im gläubigen und beharrlichen Hören auf das Wort Gottes genährt wird. In der Schule unseres Meisters hören wir seinen Wunsch: „Meine Freude sei in euch und eure Freude werde vollkommen“ (Joh 15,11). So wird man daran gewöhnt, sich in die vollkommene Freude einzuüben.
„Traurigkeit und Furcht müssen der Freude weichen. Freut euch, jubelt und strahlt vor Freude, sagt der Prophet (Jes 66,10). Es ist eine große Einladung zur Freude. Alle Christen, und wir besonders, sind berufen, diese Botschaft der Hoffnung zu überbringen, die Freude und Heiterkeit schenkt, den Trost Gottes und seine Zärtlichkeit zu allen. Aber wir können davon nur Boten sein, wenn wir selbst als erste die Freude empfinden, von ihm getröstet und geliebt zu sein. Ich habe manchmal Ordensleute getroffen, die sich vor Gottes Trost ängstigen und sich quälen, weil sie vor dieser Zärtlichkeit Gottes Angst haben. Aber fürchtet euch nicht. Habt keine Angst, unser Gott ist ein Gott des Trostes und der Zärtlichkeit. Er ist Vater und wird uns behandeln wie eine Mutter ihr Kind, voller Zärtlichkeit. Habt keine Angst vor dem Trost des Herrgotts“.9
Eure Berufung
4. „Wenn Gott ruft, sagt er: Du bist wichtig für mich, ich liebe dich, ich zähle auf dich! Jesus sagt das zu jedem Einzelnen von uns und daraus entsteht Freude. Die Freude des Augenblicks, als Jesus mich mit Liebe anblickte. Das zu verstehen und zu spüren ist das Geheimnis unserer Freude. Wir dürfen uns von Gott geliebt wissen, weil wir für ihn keine Nummern, sondern Personen sind und weil wir wissen, dass ER uns ruft.“10 Papst Franziskus lenkt unseren Blick auf die geistlichen Grundlagen unserer Menschlichkeit, damit wir erkennen, was uns durch freien göttlichen Ent-schluß und freie menschliche Antwort geschenkt worden ist. Da sah ihn Jesus an und weil er ihn liebte, sagte er zu ihm: „Eines fehlt dir noch: Verkauf alles, was du hast, verteil das Geld an die Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Lk 18,22).
Der Papst erinnert daran, wie „Jesus sich beim Letzten Abendmahl mit diesen Worten an die Apostel wandte:
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt (Joh 15,16). Das ruft uns allen, nicht nur den Priestern, in Erinnerung, dass die Berufung immer Gottes Initiative ist. Es ist Christus, der euch gerufen hat, ihm im geweihten Leben zu folgen. Das bedeutet, ständig einen ‚Exodus‘ aus euch selbst zu vollziehen, um euer Leben auf Christus und sein Evangelium auszurichten, auf den Willen Gottes, dabei auf eure eigenen Projekte zu verzichten, um so mit Paulus sagen zu können: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir (Gal 2,20).“11
Der Papst lädt uns zu einer Pilgerfahrt auf einen Weg der Weisheit ein, zurück auf die Straßen von Palästina oder nahe dem Boot der schlichten Fischer von Galiläa. Er fordert uns dazu auf, die An-fänge eines Weges oder besser Gescheh-nisses zu betrachten, das von Christus begonnen wurde und uns dazu bringt, die Netze am Ufer zurückzulassen, die Bank des Zöllners am Straßenrand und die Wunschträume des Zeloten unter den Vorhaben der Vergangenheit. Denn all diese Mittel sind ungeeignet, wenn wir bei Ihm sein wollen.
Er lädt uns dazu ein, uns gleichsam auf eine innere Pilgerreise zu begeben, lange in der Aussicht der ersten Stunde zu verweilen, als die Räume von einer freundschaftlichen Beziehung erwärmt waren, der Verstand dazu geführt wurde, sich dem Mysterium zu öffnen, die Entscheidung getroffen wurde, dass es gut sei, jenem Meister nachzufolgen, der allein Worte des ewigen Lebens hat (vgl. Joh 6,68). Er fordert uns dazu auf, aus unserem ganzen „Dasein eine Pilgerfahrt der Verwandlung in Liebe“12 zu machen.
Papst Franziskus ruft uns dazu auf, beim Bild des Anfangs innezuhalten, „der Freude des Augenblicks, als Jesus mich anblickte“13, um Sinn und Anspruch wiederzuerwecken, die mit unserer Berufung verbunden sind. „Es ist die Antwort auf einen Ruf, einen Ruf der Liebe.“14 Mit Christus zu sein verlangt, das Leben mit ihm zu teilen, die Entscheidungen, den Gehorsam des Glaubens, die Seligpreisung der Armen, die Radikalität der Liebe. Es handelt sich darum, aus Berufung wiedergeboren zu werden. „Ich lade jeden Christen ein […], noch heute seine persönliche Begegnung mit Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen“.15 Der hl. Paulus bringt uns zu dieser Grundanschauung zurück: Einen an-deren Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus (1 Kor 3,11). Der Begriff Berufung deutet diese Gnadengabe an, dass dies die Lebensquelle ist, die nicht auf-hört, die Menschheit und die Kirche in der Tiefe ihres Wesens dauernd zu erneuern.
In der Erfahrung der Berufung ist gerade Gott der geheimnisvolle Urheber des Rufes. Wir hören eine Stimme, die uns zu einem Leben der Jüngerschaft für das Gottesreich ruft. Wenn Papst Fran-ziskus mit dem Wort „Du bist wichtig für mich“ daran erinnert, verwendet er den direkten Dialog, in der ersten Person, so dass das Bewusstsein geweckt wird. Er ruft meine Vorstellung, mein Urteil zu Bewusstheit, um mich zu Verhaltensweisen aufzufordern, die mit meinem Selbstbewusstsein, mit dem an mich ergangenen Ruf, meiner persönlichen Berufung übereinstimmen. „Ich möchte dem sagen, der sich Gott und dem Glauben gegenüber gleichgültig fühlt, der Gott fern ist und ihn verlassen hat, auch uns mit unserer ‚Gottferne‘, die wir Gott vielleicht nur ein klein wenig, aber in so vielen Dingen des Alltags verlassen haben: Schau in die Tiefe deines Herzens, schau in das In-nere deiner selbst und frage dich: Hast du ein Herz, das Großes ersehnt, oder ein von den Dingen erdrücktes Herz? Hat dein Herz die Unruhe der Suche bewahrt oder hat es sich von den Dingen so einlullen lassen, bis es schließlich eingeschlafen ist?“16
Die Beziehung zu Jesus Christus muss von einer Unruhe des Suchens genährt sein. Sie macht uns des unverdienten Geschenks der Berufung bewusst und hilft uns die Motivation zu rechtfertigen, die zu der anfänglichen Wahl geführt hat und die in der Ausdauer weiterhin bleibt: „Sich von Christus erobern zu lassen, bedeutet sich immer nach dem auszustrecken, was vor mir liegt, nach dem Ziel Christi“ (vgl. Phil 3,14).17 Beständig im Hören auf Gott zu bleiben verlangt, dass diese Fragen die Koordinaten werden, die unserer täglichen Zeit den Rhythmus geben.
Dieses unaussprechliche Geheimnis, das wir in uns tragen und das teilhat am unerschöpflichen Geheimnis Gottes, kann einzig und allein im Glauben gedeutet werden. „Der Glaube ist die Antwort auf ein Wort, das eine persönliche Anrede ist, auf ein Du, das uns bei unserem Namen ruft“,18 und „insofern er Antwort auf ein vorangegangenes Wort ist, [wird er] immer ein Akt der Erinnerung sein“. „Doch legt dieses Erinnern nicht auf die Vergangenheit fest, sondern wird, da es Erinnerung an eine Verheißung ist, fähig, auf Zukunft hin zu öffnen, die Schritte auf dem Weg zu erleuchten.“19 „Der Glaube enthält gerade die Erinnerung an die Geschichte Gottes mit uns, die Erinnerung an die Begegnung mit Gott, der den ersten Schritt tut, der erschafft und erlöst, der uns verwandelt. Der Glaube ist Erinnerung an sein Wort, das das Herz erwärmt, an seine Heilstaten, durch die er uns Leben schenkt, uns reinigt, uns pflegt und nährt. […] Wer in sich die Erinnerung an Gott trägt, lässt sich davon im ganzen Leben leiten und weiß sie im Herzen der anderen zu we-cken.“20 Erinnerung daran, hier und jetzt gerufen zu sein.
Gefunden, berührt, verwandelt
Der Papst bittet uns, unsere persönliche Geschichte wieder neu zu lesen und sie im Licht von Gottes liebendem Blick zu prüfen. Zwar ist die Berufung immer seine Initiative, aber uns kommt es zu, frei in den göttlichen Heilswillen einzuwilligen, in eine Beziehung des Lebens in der Liebe (agape), einen Weg der Jüngerschaft, „Licht auf dem Weg der Kirche“.21 Das Leben im Geist hat keine abgeschlossenen Zeiten, sondern öffnet sich beständig dem Geheimnis, während es den Herrn zu erkennen und die Wirklichkeit ausgehend von ihm wahrzunehmen sucht. Wenn Gott uns ruft, lässt er uns in seine Ruhe eintreten und bittet uns, in ihm auszuruhen, als beständigen Prozess einer liebenden Erkenntnis. Für uns erklingt das Wort wieder: „Du machst dir viele Sorgen und Mühen.“ (Lk 10,41) Auf dem Weg der Liebe schreiten wir in der Wiedergeburt fort: Die alte Schöpfung wird zu neuer Gestalt wiedergeboren. Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung (2 Kor 5,17).
Papst Franziskus gibt dieser Wiedergeburt einen Namen, „Dieser Weg hat einen Namen und ein Gesicht: das Gesicht Jesu Christi. Er lehrt uns heilig zu werden. Im Evangelium zeigt er uns den Weg: den Weg der Seligpreisungen (vgl. Mt 5,1-12). Das ist das Leben der Heiligen: von Personen, die aus Liebe zu Gott keine Bedingungen an ihn stellten.“22 Das geweihte Leben ist dazu berufen, der Frohen Botschaft Gestalt zu geben und sich in der Nachfolge Christi, des gekreuzigten und auferstandenen Herrn, „die Lebens- und Handlungsweise Jesu als fleischgewordenes Wort gegenüber dem Vater und gegenüber den Brüdern und Schwestern“23 zu eigen zu machen. Konkret übernimmt es den Lebensstil des Herrn, eignet sich seine inneren Einstellungen an, lässt sich von seinem Geist durch-dringen, nimmt seine überraschen-de Logik und seine Werteskala auf, teilt seine Risiken und Hoffnungen. „Es wird geführt von der schlichten und frohen Gewissheit von jemandem, der gefunden, berührt und verwandelt wurde durch die Wahrheit, die Christus ist und die er einfach weiter verkünden muss.“24
In Christus zu bleiben, erlaubt es uns, die Gegenwart des Geheimnisses zu er-fassen, das in uns wohnt und das Herz weit macht nach dem Maß seines Sohnesherzens. Wer in seiner Liebe bleibt, wie die Rebe mit dem Weinstock verbunden ist (vgl. Joh 15,1-8), wird mit Christus vertraut und bringt Frucht: „In Jesus Christus bleiben! Es ist ein ihm verbunden bleiben, in ihm, mit ihm, sprechend mit ihm.“25
„Christus ist das Siegel auf der Stirn, er ist das Siegel auf dem Herzen: auf der Stirn, weil wir ihn immer bekennen; auf dem Herzen, weil wir ihn immer lieben. Er ist das Siegel auf dem Arm, weil wir immer (nach seinem Vorbild) handeln.“26 Das geweihte Leben ist in der Tat ein dauernder Ruf, Christus nachzufolgen und ihm ähnlich zu wer-den. „Das ganze Leben Jesu, seine Art, mit den Armen umzugehen, seine Gesten, seine Kohärenz, seine tägliche und schlichte Großherzigkeit und schließlich seine Ganzhingabe – alles ist wertvoll und spricht zum eigenen Leben.“27
Die Begegnung mit dem Herrn setzt uns in Bewegung und treibt uns an, aus der Selbstbezüglichkeit herauszutreten.28 Die Beziehung zum Herrn ist weder statisch noch bloß innerlich. „Wer Christus in die Mitte seines Lebens stellt, tritt aus sich heraus. Je mehr du dich mit Jesus verbindest und er die Mitte deines Lebens wird, desto mehr vermagst du aus dir selbst herauszugehen und dich für andere zu öffnen.“29 „Wir sind nicht im Zentrum, wir sind sozusagen ‚weggerückt‘, wir dienen Christus und der Kirche.“30
Das christliche Leben ist von Verben der Bewegung geprägt, auch wenn es auf monastisch-kontemplative Weise in Klausur gelebt wird. „Man kann eine hingebungsvolle Evangelisierung nicht mit Ausdauer betreiben, wenn man nicht aus eigener Erfahrung davon überzeugt ist, dass es nicht das Gleiche ist, Jesus kennengelernt zu haben oder ihn nicht zu kennen, dass es nicht das Gleiche ist, mit ihm zu gehen oder im Dunkeln zu tappen, dass es nicht das Gleiche ist, auf ihn hören zu können oder sein Wort nicht zu kennen, dass es nicht das Gleiche ist, ihn betrachten, anbeten und in ihm ruhen zu können oder es nicht tun zu können. Es ist nicht das Gleiche, zu versuchen, die Welt mit seinem Evangelium aufzubauen oder es nur mit dem eigenen Verstand zu tun. Wir wissen sehr wohl, dass das Leben mit ihm viel erfüllter wird und dass es mit ihm leichter ist, in allem einen Sinn zu finden.“31
Papst Franziskus ermuntert zu einer Unruhe der Suche, wie sie der hl. Augustinus von Hippo hatte, „eine Unruhe des Herzens, die ihn zu einer persönlichen Begegnung mit Christus brachte, die ihn verstehen ließ, dass Gott, den er weit weg von sich suchte, ein Gott ist, der jedem Menschen nahe ist, ein Gott nahe unserem Herzen, uns innerlicher als wir uns selbst sind“. Es ist eine fort-währende Suche: „Augustinus bleibt nicht stehen und lässt sich nicht gehen, er verschließt sich nicht in sich selbst wie einer, der schon angekommen ist, sondern setzt den Weg fort. Die Unruhe der Wahrheitssuche, der Gottsuche, wird die Unruhe des ihn immer mehr Kennenlernens und des Herausgehens aus sich selbst, um ihn anderen bekannt zu machen. Das ist gerade die Unruhe der Liebe.“32
In der Freude des gläubigen „Ja“
Wer dem Herrn begegnet ist und ihm in Treue nachfolgt, ist ein Bote der geistlichen Freude.
„Allein dank dieser Begegnung – oder Wiederbegegnung – mit der Liebe Gottes, die zu einer glücklichen Freundschaft wird, werden wir von unserer abgeschotteten Geisteshaltung und aus unserer Selbstbezogenheit erlöst“.33 Wer berufen ist, ist dazu aufgerufen, das zu werden, was er sein kann. Vielleicht muss man sagen, dass die Krise des geweihten Lebens auch von der Unfä-higkeit kommt, einen solchen tiefen Ruf zu erkennen, sogar bei denen, die schon eine solche Berufung leben.
Wir erleben eine Krise jener Treue, die als bewusste Zustimmung zu einem Ruf zu verstehen ist, der eine lange Wegstrecke ist von seinem geheimnisvollen Anfang bis zu seinem geheimnisvollen Ende. Vielleicht stecken wir auch in einer Krise der Menschwerdung. Wir leben nicht immer in echter Konsequenz, wir sind verwundet von der Unfähigkeit, unser Leben als einheitliche Berufung und als Weg der Treue zu leben.
Ein Tagesablauf im persönlichen wie gemeinschaftlichen Leben, der von Unzufriedenheit oder Verbitterung gekennzeichnet ist, welche uns ins Bedauern verschließt, gleichsam in einer dau-ernden Sehnsucht nach unerforschten Wegen und unerfüllten Träumen, wird ein einsamer Weg. So kann sich unser Leben, obwohl es zu einer erfüllenden Beziehung der Liebe gerufen ist, in ein unbewohntes Heideland verwandeln. Wir sind in jedem Alter dazu eingeladen, in das tiefe Zentrum unseres persönlichen Lebens zurückzukehren, wo die Motivationen, als Jünger und Jüngerinnen mit dem Meister zu leben, Sinn und Wahrheit finden.
Die Treue ist ein Wissen um die Liebe, die uns auf beständige und dynamische Weise am Du Gottes und der Mitmenschen ausrichtet, während wir in uns selbst das Leben des Auferstandenen erfahren. „Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung.“34 Treue Jüngerschaft ist eine Gnade und eine Übung der Liebe, einer sich auf-opfernden Liebe. „Wenn wir ohne das Kreuz gehen, wenn wir ohne das Kreuz bauen und einen Christus ohne Kreuz verkünden, sind wir nicht Jünger des Herrn. Dann sind wir weltlich gesinnt, selbst wenn wir Bischöfe, Priester, Kardinäle oder der Papst sind, aber nicht Jünger des Herrn“.35
Auf dem Weg nach Golgatha auszuharren, die Verwundungen durch Zweifel und Verleugnung zu erfahren, sich am staunenswerten Wunder von Ostern zu freuen bis zum Zeichen von Pfingsten mit seiner Evangelisierung der Völker– all das sind Etappen einer freudigen, weil sich entäußernden Treue, die das ganze Leben hindurch auch im Zeichen des Martyriums erfahren wird, doch gleichfalls am Leben des auferstandenen Christus teilhat. „Vom Kreuz her, dem höchsten Akt der Barmherzigkeit und der Liebe, wird man als ‚neue Schöpfung‘ (Gal 6,15) wiedergeboren“.36 An den Offenbarungsort, wo Gott selbst sich uns offenbart, bittet uns der Herr also, zur Suche zurückzukehren (fi des quaerens): „Strebe nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe und Frieden, zusammen mit all jenen, die den Herrn aus reinem Herzen anrufen.“ (2 Tim 2,22) Die innere Pilgerschaft beginnt im Gebet. „Das Erste ist es für einen Jünger, bei seinem Meister zu sein, auf ihn zu hören und von ihm zu lernen. Und das gilt immer, es ist ein Weg, der das ganze Leben andauert. […] Wenn es in unserem Herzen nicht die Wärme Gottes gibt, seiner Liebe und seiner Zärtlichkeit, wie können wir, die wir arme Sünder sind, dann die Herzen anderer erwärmen?“37 Dieser Weg dauert das ganze Leben, während der Heilige Geist im schlichten Gebet uns von der Herrschaft Christi in uns überzeugt. „Der Herr ruft uns jeden Tag, ihm mit Mut und Treue zu folgen Er hat uns die große Gnade geschenkt, uns als seine Jünger zu erwählen. Er lädt uns ein, ihn mit Freude als den Auferstandenen zu verkündigen, aber er bittet uns, das mit dem Wort und mit dem Zeugnis unseres Lebens zu tun, im Alltag. Der Herr ist der Einzige, der alleinige Gott unseres Lebens. Er fordert uns dazu auf, uns von vielen Götzen zu befreien und ihn allein anzubeten.“38 Der Papst empfiehlt uns das Gebet als Quelle einer fruchtbaren Mission. „Lasst uns die kontemplative Dimension pflegen, auch inmitten des Strudels drückendster und drängendster Auf-gaben. Je mehr uns die Mission ruft, an die existentiellen Ränder zu gehen, desto mehr muss euer Herz mit Christus vereinigt sein, voll Barmherzigkeit und Liebe.“39
Die Gemeinschaft mit Jesus Christus bildet zu einer kontemplativen Schau der Geschichte, die überall die Gegen-wart des Geistes zu sehen, zu hören und insbesondere zu unterscheiden weiß, um die Zeit als von Gott erfüllt zu leben. Wenn der Blick des Glaubens fehlt, „verliert das eigene Leben schritt-weise an Sinn, das Antlitz der Brüder und Schwestern wird fahl und es ist unmöglich, das Antlitz Christi zu entdecken, die Ereignisse der Geschichte bleiben unverständlich, wenn nicht gar hoffnungslos“.40
Die Kontemplation öffnet für eine prophetische Haltung. Der Prophet ist ein Mensch, „der scharfe Augen hat und der die Worte Gottes hört und aus-spricht; […] ein Mensch von drei Zeiten: der Verheißung der Vergangenheit, der Betrachtung der Gegenwart, schließlich des Mutes, den Weg in die Zukunft zu zeigen“.41
Die Treue in der Jüngerschaft geschieht und wird schließlich erprobt in der Erfahrung der Geschwisterlichkeit, des theologischen Ortes, an dem wir gerufen sind, uns im freudigen Ja zum Evangelium gegenseitig zu stützen. „Es ist das Wort Gottes, das den Glauben weckt, ihn nährt und erneuert. Es ist das Wort Gottes, das die Herzen berührt, sie zu Gott und seiner Logik bekehrt, die von der unsrigen so verschieden ist. Es ist das Wort Gottes, das unsere Gemeinschaften beständig erneuert.“42 Der Papst lädt uns folglich dazu ein, unsere Berufung zu erneuern und mit Freude und Leidenschaft weiterzu-bilden, weil der allumfassende Akt der Liebe ein beständiger Prozess ist, der „wächst und wächst und wächst“43 – in einer dauernden Entwicklung, in der das Ja unseres Willens sich vereinigt mit seinem Wollen, Den-ken und Fühlen. „Die Liebe ist nie abgeschlossen und vollständig; sie verwandelt sich und reift im Laufe des Lebens und gerade deshalb bleibt sie sich selbst treu.“44
Tröstet, tröstet mein Volk
»Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet Jerusalem zu Herzen.« Jes 40, 1-2
Zuhören
Mit einer stilistischen Eigenart, die sich ein Stück weiter nochmals findet (vgl. das „Wach auf, wach auf“ von Jes 51,17; 52,1), rufen die Orakelsprüche des zweiten Jesaja (40-55) dazu auf, dem deportierten Israel zu Hilfe zu kommen, das versucht war, sich in der Leere einer gescheiterten Erinnerung zu verschließen. Der geschichtliche Kontext ist offenkundig der der langen Verbannung des Volkes in Babylon (587 – 538 v. Chr.), mit der ganzen folgen-den Demütigung und dem Gefühl der Ohnmacht, von dort herauszukommen. Aber der Zerfall des babylonischen Reiches unter dem Druck der neu aufsteigenden Macht der Perser, die von Kyrus als aufsteigendem Stern geführt wur-den, lässt den Propheten schauen, dass eine unerwartete Befreiung eintreffen könnte. Und so wird es geschehen. Der von Gott inspirierte Prophet gibt dieser Möglichkeit eine öffentliche Stimme, indem er die politischen und militärischen Veränderungen als geheimnisvoll von Gott geleitetes, durch Kyrus erfolgendes Handeln interpretiert und verkündet, dass die Befreiung nahe ist und die Rückkehr in das Land der Väter sich zu verwirklichen beginnt.
Die Worte, die Jesaja gebraucht: „Tröstet […] Redet zu Herzen“ sind im Alten Testament mit einer gewissen Häufigkeit zu finden. Besondere Bedeutung haben die Stellen, wo es sich um Dialoge zärtlicher Zuneigung handelt, wie als Rut erkennt, dass Boas sie getröstet und zu ihrem Herzen gesprochen hat (vgl. Rut 2,12). Oder an der berühmten Stelle bei Hosea, der seiner Frau (Gomer) ankündigt, dass er sie in der Wüste umwerben und zu ihrem Herzen sprechen wird (vgl. Hos 2,16-17) für eine neue Zeit der Treue. Es gibt noch weitere, ähnliche Parallelen, wie im Di-alog von Sichem, dem Sohn des Hamor, der in Dina verliebt ist (vgl. Gen 34,1-5), oder dem des Leviten von Ephraim, der zu seiner Konkubine spricht, die ihn verlassen hat (vgl. Ri 19,3).
Es handelt sich daher um eine Sprache, die im Horizont der Liebe zu interpretieren ist, nicht in dem bloßen Aufmunterns. Folglich gehören Tat und Wort zusammen, feinfühlig und ermutigend, doch rufen sie die intensiven affektiven Bindungen Gottes als ‚Bräutigam‘ zu Israel wieder wach. Und die Tröstung muss das Erscheinen einer wechselseitigen Zugehörigkeit sein, ein Zusammenspiel von intensiver Einfühlung, Ergriffenheit und lebendiger Liebesbeziehung. Nicht also oberflächliche, süßliche Worte, sondern Barmherzigkeit und Innigkeit der Sorge, ein Umarmen, das Kraft gibt, und geduldige Nähe, um die Wege des Vertrauens wiederzufinden.
Die Umarmung Gottes zu bringen
„Sicher brauchen die Menschen heute Worte, aber vor allem brauchen sie uns als Zeugen der Barmherzigkeit und Zärtlichkeit des Herrn, die das Herz erwärmt, die Hoffnung erweckt und zum Guten lockt. Die Freude, den Trost Gottes zu bringen.“45
Papst Franziskus vertraut den Ordensmännern und -frauen diese Sendung an: den Herrn zu finden, der uns wie eine Mutter tröstet, und das Volk Gottes zu trösten.
Aus der Freude der Begegnung mit dem Herrn und seinem Ruf entspringt der Dienst in der Sendung der Kirche: den Männern und Frauen unserer Zeit den Trost Gottes zu bringen und seine Barmherzigkeit zu bezeugen.46
In der Sicht Jesu ist der Trost eine Gabe des Heiligen Geistes, des Parakleten, des Trösters, der uns in den Prüfungen des Lebens tröstet und eine Hoffnung entzündet, die nicht enttäuscht. So wird christlicher Trost Bestärkung, Ermutigung und Hoffnung. Er ist eine wirksame Gegenwart des Geistes (vgl. Joh 14,16-17), eine Frucht des Geistes.
Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal 5,22-23).
In einer misstrauischen Welt, die entmutigt und niedergedrückt ist, in einer Kultur, in der sich Männer und Frauen von Labilität und Schwäche überwältigen lassen, von Individualismen und Egoismen, sind wir gefragt, das Vertrauen in die Möglichkeit wahren Glücks einzubringen, einer möglichen Hoffnung, die sich nicht allein auf eigene Talente, Fähigkeiten und Kenntnisse stützt, sondern auf Gott. Allen ist die Möglichkeit gegeben, ihm zu begegnen; es genügt, ihn mit aufrichtigem Herzen zu suchen.
Die Männer und Frauen unserer Zeit erwarten Worte des Trostes, die Nähe von Vergebung und wahrer Freude. Wir sind berufen, allen die Umarmung Gottes zu schenken, der sich zärtlich wie eine Mutter zu uns herunterbeugt. Die Ordensleute sollten ein Zeichen echter Menschlichkeit sein, Förderer und nicht Kontrolleure der Gnade47, die sich bücken im Zeichen des Trostes.
Zärtlichkeit ist gut für uns
Als Zeugen von Gemeinschaft jenseits unserer begrenzten Sichtweisen sind wir also berufen, Gottes Lächeln zu bringen, und die Geschwisterlichkeit ist das erste und glaubwürdigste Evangelium, das wir erzählen können. Wir sind aufgerufen, unsere Gemeinschaften menschlicher zu gestalten. „Pflegt Freundschaft untereinander, ein familiäres Leben in gegenseitiger Liebe. Das Kloster sollte kein Fegefeuer, sondern eine Familie sein. Probleme gibt es und wird es immer geben, aber wie in einer Familie sucht eine Lösung in Liebe. Zerstört nicht die Liebe, um das Problem zu lösen; pflegt kein Konkurrenzdenken. Sorgt für das Gemeinschaftsleben, denn wenn das Gemeinschaftsleben familiär ist, ist wirklich der Heilige Geist inmitten der Gemeinschaft. Habt immer ein weites Herz, lasst einander den Vortritt, rühmt euch nicht, ertragt alles, lächelt von Herzen. Und das Zeichen dafür wird die Freude sein.“48
Die Freude verstärkt sich durch die Erfahrung der Geschwisterlichkeit, als ein theologischer Ort, wo jeder verantwortlich ist für die Treue zum Evangelium und für das Wachstum eines jeden. Wenn eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern sich vom gleichen Leib und Blut Christi nährt, sich um den Sohn Gottes versammelt, um den Weg des Glaubens, vom Wort Gottes geführt, zu teilen, wird sie eins mit ihm. Dann ist es eine geschwisterliche Gemeinschaft, die die ungeschuldete Liebe erfährt und in festlicher Stimmung lebt – frei, fröhlich und voll Wagemut.
„Eine Brüderlichkeit ohne Freude ist eine Brüderlichkeit, die am Erlöschen ist. […] Eine frohe Gemeinschaft dagegen stellt ein wirkliches Geschenk von Oben dar für jene Brüder und Schwestern, die es zu erbitten verstehen und die sich in vollem Vertrauen in das Wirken des Geistes für ihre Gemeinschaft einsetzen.“49
In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Zerrissenheit einem unfruchtbaren, massenhaften Individualismus Recht gibt und die Schwäche der Beziehungen die Sorge um den Menschen schädigt und zerbrechen lässt, sind wir dazu aufgerufen, die gemeinschaftlichen Beziehungen menschlicher zu gestalten, um eine Gemeinschaft von Geist und Herz nach Art des Evangeliums zu fördern. Denn „es gibt eine Gemeinschaft des Lebens zwischen allen, die zu Christus gehören, eine Gemeinschaft, die aus dem Glauben geboren ist“. Dieser „macht die Kirche in ihrer tiefsten Wahrheit zu einer familiären Gemeinschaft mit Gott, zu einer Liebesgemeinschaft mit Christus und mit dem Vater im Heiligen Geist, die sich fortsetzt in einer geschwisterlichen Gemeinschaft“.50
Für Papst Franziskus ist Erkennungszeichen der Brüderlichkeit ein zarter Umgang miteinander, eine „eucharistische Zartheit“, denn „der zarte Umgang tut uns gut“. Eine Bruderschaft wird dann „eine enorme Ausstrahlungskraft“ besitzen. „Trotz aller nur möglichen Unterschiede ist die Bruderschaft eine Erfahrung der Liebe, die über die Konflikte hinausgeht.“51
Nähe als Begleitung
Wir sind dazu berufen, aus uns selbst herauszugehen und einen Weg der Anbetung und des Dienstes anzutreten.52 „Geht aus der Tür heraus, um die Begegnung zu suchen! Habt den Mut, gegen diese Leistungs- und Wegwerfgesellschaft aufzutreten. Bereitschaft, allen zu begegnen und sie aufzunehmen, Solidarität und Geschwisterlichkeit sind jene Elemente, die unsere Gesellschaft wahrhaft menschlich machen. Seid Diener für die Gemeinschaft und für eine Kultur der Begegnung. Ich möchte, dass ihr davon gleichsam besessen seid und das macht, ohne anmaßend zu sein.“53 „Das Gespenst, das wir bekämpfen müssen, ist das Trugbild von einem Ordensleben, das sich als Rückzugs- und Tröstungsort gegenüber der schwierigen und komplizierten Welt da draußen versteht.“54 Der Papst mahnt uns, „das Nest zu verlassen“55, um das Leben der Männer und Frauen unserer Zeit zu teilen und uns selbst Gott und den Nächsten anzuvertrauen.
„Die Freude entspringt aus der Gnade einer Begegnung. […] Und die Freude der Begegnung mit Ihm und seinem Ruf führt uns dazu, uns nicht zu verschließen, sondern uns zu öffnen; sie führt uns zum Dienst in der Kirche. Der heilige Thomas von Aquin sagte: Das Gute hat die Tendenz sich auszubreiten (bonum est diffusivum sui). Das Gute und auch die Freude breiten sich aus. Fürchtet euch nicht davor, eure Freude zu zeigen, den Ruf der liebenden Erwählung des Herrn beantwortet zu haben und Zeugen des Evangeliums im Dienst der Kirche zu sein. Jene wahre Freude ist ansteckend; sie steckt andere an […] und lässt uns vorwärtsgehen.“56 Wenn sie einen ansteckenden Zeugen der Freude, Heiterkeit und Fruchtbarkeit treffen, einen Zeugen der Zärtlichkeit und der Zuneigung, einer demütigen Liebe ohne Anmaßung, werden viele den Wunsch verspüren, zu kommen und zu sehen (vgl. Joh 1,39).57 Wiederholt hat Papst Franziskus den Weg der Anziehungskraft, des Angesteckt werdens als einen Weg des Wachstums und der Neuevangelisie-rung für die Kirche aufgezeigt. „Die Kirche muss anziehend sein. Weckt die Welt auf! Seid Zeugen eines anderen Lebens- und Handlungsstils! Es ist möglich, in dieser Welt anders zu leben. […] Ich erwarte mir von euch dieses Zeugnis.“58
Wenn der Papst uns mit der Aufgabe betraut, die Welt aufzuwecken, dann drängt er uns dazu, der Geschichte der Männer und Frauen von heute im Licht zweier pastoraler Kategorien zu begegnen, die ihre Wurzel in der Neuheit des Evangeliums haben: der Nähe und der Begegnung, zwei Weisen, in denen Gott selbst sich in der Geschichte bis zur Menschwerdung geoffenbart hat.
Auf dem Weg nach Emmaus machen wir uns, wie es Jesus mit den beiden Jüngern tat, im werktäglichen Zusammensein die Freuden und Leiden der Menschen zu eigen. Wir geben „dem Herzen Wärme“59, während wir uns mit zärtlicher Sorge den Müden und Schwachen widmen, auf dass unser gemeinsamer Weg in Christus Licht und Sinn gewinne.
Unser Weg „reift so zu einer pastoralen Vaterschaft, zu einer pastoralen Mutterschaft. Wenn ein Priester nicht ein Vater seiner Gemeinde ist, wenn eine Ordensschwester nicht eine Mutter für all jene ist, mit denen sie arbeitet, dann werden sie traurig. Das ist das Problem. Deshalb sage ich euch, dass die Wurzel der Traurigkeit im pastoralen Leben gerade der Mangel an Väterlichkeit und Mütterlichkeit ist, der daher rührt, dass wir unsere Weihe schlecht leben, die uns doch zur Fruchtbarkeit führen sollte.“60
Die Rastlosigkeit der Liebe
Als lebendige Ikonen der mütterlichen Nähe der Kirche wollen wir zu jenen gehen, die auf ein Wort des Trostes warten, und uns mit mütterlicher Liebe und väterlichem Geist zu den Armen und Schwachen beugen.
Der Papst ruft uns dazu auf, die Liebe nicht für uns zu behalten, sondern mit der Unruhe eines Suchenden zu lieben: „Sucht immer unermüdlich das Wohl des anderen, das Wohl der geliebten Person.“61
Die Sinnkrise des modernen Menschen und die wirtschaftliche und moralische Krise der westlichen Gesellschaft und ihrer Institutionen sind keine vorüber-gehende Erscheinung der Zeiten, in denen wir leben, sondern stellen einen historischen Moment von außergewöhnlicher Bedeutung dar. Wir sind nun als Kirche gerufen, aufzubrechen und an die geographischen, urbanen und existentiellen Ränder zu gehen – mitten in das Geheimnis der Sünde, des Leids, der Ungerechtigkeit, der Armut –, zu den verborgenen Winkeln der Seele, wo jeder die Freude und das Leid des Daseins erfährt.62
„Wir leben in einer Gesellschaft der Zusammenstöße, Brüche und Ausschlüsse […]. Es macht keine Schlagzeilen, wenn ein Obdachloser erfriert.“ Und doch hat „Armut eine theologische Bedeutung, weil sich der Sohn Gottes erniedrigte, um auf der Straße zu leben. […] Eine arme Kirche für die Armen fängt an, auf das Fleisch Christi zuzugehen. Wenn wir das tun, beginnen wir etwas zu verstehen, was Armut ist, die Armut des Herrn.“63 Die Seligpreisung der Armen zu leben heißt Zeichen dafür zu sein, dass die Furcht vor Einsamkeit und Benachteiligung von der Freude dessen besiegt ist, der wahrhaft frei in Christus ist und zu lieben gelernt hat.
Während seines Pastoralbesuches in Assisi warf Papst Franziskus die Frage auf, wovon die Kirche sich entäußern müsse, und gab folgende Antwort: „Von jeder Tätigkeit, die nicht von und für Gott ist, von der Furcht, die Türen aufzumachen und ohne Zögern auf alle zuzugehen, besonders auf die Ärmsten, Bedürftigsten und Fernstehendsten. Gewiss nicht, um sich im Schiffbruch der Welt zu verlieren, sondern um mutig das Licht Christi, das Licht des Evangeliums auch in die Dunkelheit zu tragen, wo man nichts sieht, wo es geschehen kann, dass man stolpert. Sich der vermeintlichen Ruhe zu entäußern, die die Strukturen bieten, die gewiss notwendig und wichtig sind, die aber nicht die einzige Kraft verdunkeln dürfen, die wahrhaft trägt: diejenige Gottes. Er ist unsere Stärke!“64
Das klingt für uns wie eine Einladung, „keine Angst vor der Neuheit zu haben, die der Heilige Geist in uns bewirkt, sich nicht vor der Erneuerung der Strukturen zu fürchten. Die Kirche ist frei und wird vom Heiligen Geist vorangetrieben. Das lehrt uns Jesus im Evangelium: die notwendige Freiheit, um immer die Neuheit des Evangeliums in unserem Leben und auch in den Strukturen zu entdecken; die Freiheit, neue Schläuche für diese Neuheit zu wählen.“65 Wir sind dazu aufgerufen, kühne Männer und Frauen zu sein, Grenzgänger. „Unser Glaube ist kein Laborglaube, sondern ein Wegglaube, ein geschichtlicher Glaube. Gott hat sich als Geschichte geoffenbart und nicht als ein Kompendium abstrakter Wahrheiten. […] Wir brauchen die Grenze nicht nach Hause schleppen, sondern sollen selber wagemutig an der Grenze leben.“66
Neben der Herausforderung durch die Seligpreisung der Armen fordert uns der Papst dazu auf, die Grenzen des Denkens und der Kultur aufzusuchen, einen Dialog auch auf intellektueller Ebene zu fördern, um auf der Basis ethischer und spiritueller Kriterien Rechenschaft von der Hoffnung zu geben, wobei wir uns der Frage nach dem Guten stellen. Der Glaube schränkt den Raum der Vernunft niemals ein, sondern öffnet ihn auf eine ganzheitliche Sicht des Menschen und der Wirklichkeit. Er bewahrt uns vor der Gefahr, den Menschen auf bloßes „Menschenmaterial“ zu reduzieren.67
Echte Kultur, die der Menschheit in allen Lagen beständig dienstbar sein sollte, bahnt bisher unerforschte Pfade, Wege der Hoffnung, die aufatmen lassen, die den Sinn des Lebens festigen und das Gemeinwohl bewahren. Ein echter kultureller Prozess „lässt ein ganzheitliches Menschsein wachsen und eine Kultur der Begegnung und Beziehung. Das ist die christliche Art, das Gemeinwohl und die Lebensfreude zu fördern. Und hier kommen Glaube und Vernunft zusammen, die religiöse Dimension mit den verschiedenen Aspekten der menschlichen Kultur: Kunst, Wissenschaft, Arbeit und Literatur.“68 Eine echte kulturelle Suche begegnet der Geschichte und bahnt Wege, um Gottes Angesicht zu suchen.
Die Orte, wo Wissen erzeugt und verbreitet wird, sind auch Orte, die eine Kultur der Nähe, der Begegnung und des Dialogs schaffen, indem sie Zäune überwinden, Türen öffnen und Brücken bauen.69
Zum Nachdenken
Die Welt als globales Netzwerk, in dem wir alle verbunden sind, wo keine lokale Tradition das Wahrheitsmonopol beanspruchen kann und wo die Technologien Auswirkungen haben, die uns alle betreffen, ist eine dauernde Herausforderung für jene, die ihr Leben nach dem Evangelium ausrichten.
In diesem geschichtlichen Kontext vollzieht Papst Franziskus quer durch ausgewählte Lebensbedingungen eine lebendige Hermeneutik des Dialogs zwischen Gott und Welt. Er führt uns ein in einen Stil der Weisheit, der, im Evangelium verwurzelt und auf das Ende des Menschen blickend, den Pluralismus deutet und den Ausgleich sucht. Er mahnt uns dazu, unser Geschick, den Wandel verantwortlich zu gestalten, auszubilden, um die Wahrheit des Evangeliums besser mitteilen zu können, während wir uns „innerhalb der Gren-zen und der Umstände“70 bewegen. Im Wissen um diese Grenzen soll jeder von uns „den Schwachen ein Schwacher […], allen alles“ sein (vgl. 1 Kor 9,22).
Wir sind dazu aufgerufen, für eine schöpferische und nicht bloß verwaltende Dynamik zu sorgen, um das geistliche Geschehen in unseren Gemeinschaften und in der Welt aufzugreifen, die Bewegungen der Gnade, die der Geist in jedem Einzelnen wirkt, der als Person angeschaut ist. Wir sollen uns dafür einsetzen, dass leblose Vorbilder so verändert werden, dass sie von einem durch Christus gekennzeichnetem Menschsein erzählen, welches freilich in den Weisen des Sprechens nie völlig offenbar wird.
Papst Franziskus ermuntert uns zu einer Weisheit, die Zeichen einer geschmeidigen Konsistenz ist, einer Fähigkeit der Gottgeweihten, sich nach dem Evangelium zu bewegen, danach zu wählen und zu handeln, ohne sich in den verschiedenen Lebensbereichen, Sprechweisen und Beziehungen zu verlieren, die den Sinn für Verantwortung wahrt, für die Beziehungen, die uns binden, für die Enge unserer Grenzen, für die Unendlichkeit der Ausdrucksweisen des Lebens. Ein missionarisches Herz hat die Freude der Erlösung durch Christus kennengelernt und teilt sie als Trost im Zeichen der menschlichen Begrenztheit. „Es weiß, dass es selbst wachsen muss im Verständnis des Evangeliums und in der Unterscheidung der Wege des Geistes, und so verzichtet es nicht auf das mögliche Gute, obwohl es Gefahr läuft, sich mit dem Schlamm der Straße zu beschmutzen.“71
Greifen wir die Anregungen auf, die der Papst uns vorschlägt, um uns selbst und die Welt mit den Augen Christi zu betrachten und dadurch unruhig zu bleiben.
Fragen, die der Papst stellt
• Meine Absicht war, euch ein Wort mitzugeben, und dieses Wort ist Freude. Dort, wo Gottgeweihte, Seminaristen, Ordensfrauen und -männer, Jugendliche sind, herrscht Freude, immer Freude. Es ist die stets frische Freude, Jesus nachzufolgen; eine Freude, die uns der Heilige Geist gibt, nicht die Freude der Welt. Aber woraus entspringt diese Freude?72
• Schau in die Tiefe deines Herzens, schau in dein Inneres und frage dich: Hast du ein Herz, das etwas Großes ersehnt, oder ein Herz, das von den Dingen betäubt ist? Hat dein Herz die Unruhe der Suche bewahrt oder hat es sich von den Dingen so einlullen lassen, bis es schließlich eingeschlafen ist? Gott wartet auf dich, sucht dich. Was antwortest du? Bist du dir des Zustands deiner Seele bewusst geworden oder schläfst du? Glaubst du, dass Gott dich erwartet, oder sind für dich Wahrheiten wie diese bloße ‚Worte‘?73
• Wir sind Opfer dieser Kultur des Vor-läufigen. Ich hätte gern, dass ihr darüber nachdächtet: Wie kann ich frei sein von dieser Kultur des Vorläufigen?74
• Das ist vor allem eine Verantwortung der Erwachsenen und der Erzieher: den Jüngeren ein Beispiel der Kohärenz zu geben. Wollen wir, dass die jungen Menschen mit sich selbst im Einklang sind? Lasst uns selber stimmige Menschen sein. Sonst wird der Herr uns sagen, was er zum Volk Gottes über die Pharisäer sagte: „Tut das, was sie sagen, aber nicht das, was sie tun“. Kohärenz und Echtheit!75
• Wir können uns fragen: Verspüre ich eine Unruhe für Gott, um ihn zu verkünden, ihn bekannt zu machen? Oder lasse ich mich von diesem Geist der Weltlichkeit verführen, der dazu treibt, alles aus Liebe zu sich selbst zu tun? Denken wir Ordensleute an persönliche Interessen, an das Funk-tionieren der Werke, an Karrieremacherei? Allerdings können wir an alles Mögliche denken … Habe ich mich sozusagen ‚eingerichtet‘ in meinem christlichen Leben, in meinem priesterlichen Leben, in meinem Ordensleben, auch in meinem Gemeinschaftsleben? Oder bewahre ich noch eine kräftige Unruhe für Gott, für sein Wort, das mich dazu bringt, ‚hinauszugehen‘ zu den anderen?76
• Wie geht es uns mit dieser Unruhe der Liebe? Glauben wir an die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen? Oder sind wir in diesem Punkt ‚Nominalisten‘? Nicht auf abstrakte Weise nur in Worten, sondern in der konkreten Begegnung mit dem Bruder oder der Schwester neben uns! Lassen wir uns von ihrer Not beunruhigen oder bleiben wir in uns selbst und in unserer Gemeinschaft verschlossen, die für uns oft zu einer ‚Bequemlichkeitsgemeinschaft‘ geworden ist?77
• Es gibt einen vorzüglichen Weg zur Heiligkeit: nicht schlecht von anderen sprechen. „Aber, Pater, es gibt Probleme ….“ Sag es dem Obern, der Oberin, dem Bischof, die Abhilfe schaffen können. Erzähle es nicht Leuten, die nicht helfen können. Wichtig ist der Familiengeist. Sag mir doch, wirst du schlecht über deine Mutter, deinen Vater, deine Geschwister sprechen? Nie. Warum tust du es dann in der Gemeinschaft der Mitbrüder oder -schwestern, im Seminar, als Priester? Denkt nur an das eine: an Brüderlichkeit, an geschwisterliche Liebe.78
• Zu Füßen des Kreuzes steht Maria, die Schmerzensmutter, die zugleich in der wachen Erwartung eines Geheimnisses ist, das sich zu erfüllen beginnt und größer ist als der Schmerz. Alles scheint wirklich zu Ende zu sein, jegliche Hoffnung ausgelöscht. Auch sie hätte in diesem Moment in Erinnerung an die Verheißungen bei der Verkündigung sagen können: Sie haben sich nicht bewahrheitet, ich bin getäuscht worden. Aber sie hat es nicht gesagt. Trotzdem ist sie selig, weil sie geglaubt hat. Aus diesem ihrem Glauben heraus sieht sie eine neue Zukunft erblühen und erwartet voll Hoffnung das Morgen Gottes . Manchmal frage ich mich: Können wir das Morgen Gottes erwarten? Oder wollen wir es heute? Das Morgen Gottes ist für sie die Dämmerung des Ostermorgens, jenes ersten Tages der Woche. Es wird uns guttun, in der Betrachtung an die Umarmung des Sohnes mit der Mutter zu denken. Die einzige Lampe, die am Grabe Jesu angezündet war, war die Hoffnung seiner Mutter, die in jenem Moment die Hoffnung der ganzen Menschheit verkörperte. Ich frage mich und euch: Brennt in den Klöstern diese Lampe noch? Erwartet man in den Klöstern das Morgen Gottes?79
• Die Unrast der Liebe drängt uns immer, den anderen entgegenzugehen, ohne darauf zu warten, dass der andere erst seine Not zum Ausdruck bringt. Die Unrast der Liebe schenkt uns pastorale Fruchtbarkeit. Jeder von uns muss sich fragen: Wie steht es mit meiner spirituellen und pastoralen Fruchtbarkeit?80
• Ein echter Glaube bringt immer eine tiefe Sehnsucht mit sich, die Welt zu verändern. Hier lautet die Frage, die wir uns stellen müssen: Haben wir den Schwung zu großen Visionen? Sind wir auch wagemutig? Haben wir hochfliegende Träume? Verzehrt uns der Eifer? (vgl. Ps 69,10) Oder sind wir mittelmäßig und geben uns mit unseren apostolischen Programmen aus dem Labor zufrieden?81
Ave, Mutter der Freude
Sei gegrüßt, du Begnadete (Lk 1,28). „Der Gruß des Engels an Maria ist eine Einladung zu tiefer Freude. Er kündigt das Ende des Kummers an […]. Es ist ein Gruß, der den Anfang des Evangeliums, der Guten Nachricht markiert.“82
Um Maria herum verbreitet sich die Freude. Der Sohn, den sie in ihrem Schoß trägt, ist der Gott der Freude, einer Fröhlichkeit, die ansteckt und mitreißt. Maria sperrt die Tore des Herzens auf und eilt zu Elisabeth.
„Freudig in der Erfüllung ihres Wunsches, feinfühlig bei ihrer Pflicht, zu-vorkommend in ihrer Freude eilte sie in das Bergland. Wohin, wenn nicht zu den Gipfeln, sollte jene in ihrer Zu-vorkommenheit streben, die schon von Gott erfüllt war?“83
Sie geht ganz eilends (Lk 1,39), um aller Welt die frohe Botschaft zu bringen, die unbändige Freude, die sie in ihrem Schoß empfing: Jesus den Herrn. Ganz eilends: Es geht nicht nur um die Geschwindigkeit, mit der Maria sich bewegt. Es geht um ihre Sorgsamkeit, ihre zuvorkommende Achtsamkeit, mit der sie die Reise antritt, ihre Begeisterung.
Siehe, ich bin die Magd des Herrn (Lk 1,38). Die Magd des Herrn läuft ganz eilends, um sich zur Magd der Menschen zu machen.
In Maria ist die ganze Kirche zusammen unterwegs: in der Liebe von einer, die zu den Schwächeren geht; in der Hoffnung von einer, die sich auf diesem ihrem Gang begleitet weiß; im Glauben von einer, die eine besondere Gabe des Teilens hat. In Maria möge jeder von uns, vom Wehen des Geistes getrieben, die eigene Berufung zum Gehen erleben!
Stern der neuen Evangelisierung, hilf uns, dass wir leuchten im Zeugnis der Gemeinschaft, des Dienstes, des brennenden und hochherzigen Glaubens, der Gerechtigkeit und der Liebe zu den Armen, damit die Freude aus dem Evangelium bis an die Grenzen der Erde gelange und keiner Peripherie sein Licht vor-enthalten werde. Mutter des lebendigen Evangeliums, Quelle der Freude für die Kleinen, bitte für uns. Amen. Halleluja!84
Rom, den 2. Februar 2014, am Fest der Darstellung des Herrn.
Kard. João Braz de Aviz
Präfekt
José Rodríguez Carballo, O.F.M.
Sekretär des Erzbischofs
*. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
1. Papst FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Rom, den 24. November 2013 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2013), Nr. 1.
2. Antonio SPADARO, „Svegliate il mondo!“ Colloquio di Papa Francesco con i Superiori Generali, in: La Civiltà Cattolica, 165 (2014/I), S. 5.
3. Vgl. Evangelii gaudium, Nr. 47.
4. Papst FRANZISKUS, Verkündigt das Evangelium, wenn nötig auch mit Worten. Begegnung mit Jugendlichen aus Umbrien. Assisi, den 4. Oktober 2013, in: Osservatore Romano, Sonntag, den 6. Oktober 2013, CLIII (229), S. 7.
5. Papst JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Schreiben Vita consacrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt. Rom, den 25. März 1996 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 125, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1996), Nr. 27.
6. Vgl. mit wörtlichen Zitaten die heilige THE-RESIA VOM KINDE JESU, Opere complete, Vatikanstadt – Rom 1997; Manuskript A, 76v°; B 1r°; C 3r°; Brief 196.
7. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folgerichtig. Begegnung mit Seminaristen, Novizen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/ Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
8. Ebd. Papst FRANZISKUS, Evangelisierung geschieht auf den Knien. Homilie in der heiligen Messe für Seminaristen, Novizen und Novizinnen. Rom, den 7. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 7.
9. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novizen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
10. Papst FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der internationalen Vereinigung der Ordensoberen. Rom, den 8. Mai 2013, in: Acta Apostolicae Sedis 105 (2013), S. 460-463.
11. Papst FRANZISKUS, Aufstieg zum Weg der Vollkommenheit. Botschaft des Papstes an die Karmeliten anlässlich ihres Generalkapitels. Rom, den 22. August 2013, in: Osservatore Romano, Freitag, den 6. September 2013, CLIII (203), S. 7.
12. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
13. Ebd.
14. Evangelii Gaudium, Nr. 3.
15. Papst FRANZISKUS, Mit der Unruhe des Herzens. Homilie zu Beginn des Generalka-pitels des Augustinerordens. Rom, den 28. August 2013, in: Osservatore Romano, Frei-tag, den 30. August 2013, CLIII (197), S. 8.
16. Papst FRANZISKUS, Kreative Wege in der Kirche verwurzelt, Papst Franziskus mit den jesuitischen Mitbrüdern am Gedenktag des Heiligen Ignatius von Loyola [Homilie im Rahmen der Heiligen Messe in der Kirche Il Gesù anlässlich des Festes des Heiligen Ignatius von Loyola, Rom 31. Juli 2013], in: L´Osservatore Romano, Donners-tag 1. August 2013, CLIII (175), S. 8. 25.
17. Papst FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben. Rom, den 29. Juni 2013 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 193, hrsg. vom Sekretariat der Deut-schen Bischofskonferenz, Bonn 2013), Nr. 8.
18. A. a. O., Nr. 9.
19. Papst FRANZISKUS, Erinnerung an Gott. Homilie bei der heiligen Messe am Tag der Katecheten. Rom, den 29. September 2013, in: Osservatore Romano, Montag, den 30.
20. September/Dienstag, den 1. Oktober 2013, CLIII (224), S. 7.
21. Papst FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der internationalen Vereinigung der Ordensoberen. Rom, den 8. Mai 2013, in: Acta Apostolicae Sedis 105 (2013), S. 460-463.
22. Papst FRANZISKUS, Nicht Übermenschen, sondern Freunde Gottes. Angelus an Allerheiligen. Rom, den 1. November 2013, in: Osservatore Romano, Samstag/Sonntag, den 2./3. November 2013, CLIII (252), S. 8.
23. Vita consacrata, Nr. 22.
24. Papst FRANZISKUS, An den Kreuzungen der Straßen. Homilie bei der heiligen Messe mit den Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Seminaristen auf dem 28. Weltjugendtag. Rio de Janiero, den 27. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 29./30. Juli 2013, CLIII (173), S. 4.
25. Papst FRANZISKUS, Die Berufung des Katecheten. Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses zur Katechese. Rom, den 27. September 2013, in: Osservatore Romano, Sonntag, den 29. September 2013, CLIII (223), S. 7.
26. AMBROSIUS VON MAILAND, De Isaac vel anima, 75: PL 14, 556-557.
27. Evangelii gaudium, Nr. 265.
28. Vgl. ebd.
29. Papst FRANZISKUS, Die Berufung des Katecheten. Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses zur Katechese. Rom, den 27. September 2013, in: Osservatore Romano, Sonntag, den 29. September 2013, CLIII (223), S. 7.
30. Papst FRANZISKUS, Schöpferische Wege, in der Kirche verwurzelt. Homilie in der heiligen Messe in der Kirche Il Gesù anläßlich des Festes des heiligen Ignatius von Loyola. Rom, den 31. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Donnerstag, den 1. August 2013, CLIII (175), S. 8.
31. Evangelii gaudium, Nr. 266.
32. Papst FRANZISKUS, Mit der Unruhe des Herzens. Homilie zu Beginn des Generalka-pitels des Augustinerordens. Rom, den 28. August 2013, in: Osservatore Romano, Frei-tag, den 30. August 2013, CLIII (197), S. 8.
33. Evangelii gaudium, Nr. 8.
34. A. a. O., Nr. 1.
35. Papst FRANZISKUS, Homilie bei der heiligen Messe mit den Kardinälen. Rom, den 14. März 2013, in: Acta Apostolicae Sedis 105 (2013), S. 365-366.
36. Papst FRANZISKUS, Evangelisierung geschieht auf den Knien. Homilie in der heiligen Messe für Seminaristen, Novizen und Novizinnen. Rom, den 7. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 7.
37. Papst FRANZISKUS, Die Berufung des Katecheten. Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses zur Katechese. Rom, den 27. September 2013, in: Osservatore Romano, Sonntag, den 29. September 2013, CLIII (223), S. 7.
38. Papst FRANZISKUS, Übereinstimmung von Wort und Leben. Homilie bei der Eucharis-tiefeier in Sankt Paul vor den Mauern. Rom, den 14. April 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 15./16. April 2013, CLIII (88), S. 8.
39. Papst FRANZISKUS, Evangelisierung geschieht auf den Knien. Homilie in der heiligen Messe für Seminaristen, Novizen und Novizinnen. Rom, den 7. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 7.
40. KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND FÜR DIE GEMEINSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Instruktion Neubeginn in Christus. Ein neuer Aufbruch des geweihten Lebens im dritten Jahrtausend (19. Mai 2002), Nr. 25, in: Enchiridion Vaticanum 21, 372-510.
41. Papst FRANZISKUS, Der Mensch mit scharfem Auge. Morgenbetrachtung in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta (16. Dezember 2013), in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 16./17. Dezember 2013, CLIII (289), S. 7.
42. Papst Franziskus, Die Anziehungskraft, die die Kirche wachsen lässt. Begegnung mit Priestern, Ordensleuten und Laienvertre-tern in der Kathedrale von San Rufino. Assisi, den 4. Oktober 2013, in: Osservatore Romano, Sonntag, den 6. Oktober 2013, CLIII (229), S. 6.
43. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
44. Papst BENEDIKT XVI., Enzyklika Deus caritas est über die christliche Liebe. Rom,den 25. Dezember 2005 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 171, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006), Nr. 11.
45. Papst FRANZISKUS, Evangelisierung geschieht auf den Knien. Homilie in der heiligen Messe für Seminaristen, Novizen und Novizinnen. Rom, den 7. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 7.
46. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
47. Vgl. Evangelii gaudium, Nr. 47.
48. Papst FRANZISKUS, Für eine Klausur von großer Menschlichkeit. Empfehlungen an die Klarissinnen der Basilika der heiligen Klara. Assisi, den 4. Oktober 2013, in: Osservatore Romano, Sonntag, den 6. Oktober 2013, CLIII (229), S. 6.
49. KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND FÜR DIE GEMEINSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft. „Congregavit nos in unum Christi amor“ (2. Februar 1994), Nr. 28, in: Enchiridion Vaticanum 14, 345-537.
50. Papst FRANZISKUS, Eine große Familie zwischen Himmel und Erde. Generalaudienz zum Thema „Gemeinschaft der Heiligen“. Rom, den 30. Oktober 2013, in: Osservatore Romano, Donnerstag, den 31. Oktober 2013, CLIII (250), S. 8.
51 Antonio SPADARO, „Svegliate il mondo!“ Colloquio di Papa Francesco con i Superiori Generali, in: La Civiltà Cattolica, 30, 165 (2014/I), S. 13.
52. Vgl. Papst FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der internationalen Vereinigung der Ordensoberen. Rom, den 8. Mai 2013, in: Acta Apostolicae Sedis 105 (2013), S. 460-463.
53. Papst FRANZISKUS, An den Kreuzungen der Straßen. Homilie bei der heiligen Messe mit den Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Seminaristen auf dem 28. Weltjugend-tag. Rio de Janiero, den 27. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 29./30. Juli 2013, CLIII (173), S. 4.
54. Antonio SPADARO, „Svegliate il mondo!“ Colloquio di Papa Francesco con i Superiori Generali, in: La Civiltà Cattolica, 165 (2014/I), S. 10.
55. A. a. O., S. 6.
56. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
57. Vgl. Papst FRANZISKUS, Die demütige Kraft des Evangeliums. Morgenbetrachtung in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta (1. Oktober 2013), in: Osservatore Romano, Mittwoch, den 2. Oktober 2013, CLIII (225), S. 8.
58. Antonio SPADARO, „Svegliate il mondo!“ Colloquio di Papa Francesco con i Superiori Generali, in: La Civiltà Cattolica, 165 (2014/I), S. 5.
59. Papst FRANZISKUS, Für eine Kirche, die den Menschen nach Hause begleitet. Begegnung mit dem brasilianischen Episkopat. Rio de Janeiro, den 27. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 29./30. Juli 2013, CLIII (173), S. 6-7.
60. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
61. Papst FRANZISKUS, Mit der Unruhe des Herzens. Homilie zu Beginn des Generalkapitels des Augustinerordens. Rom, den 28. August 2013, in: Osservatore Romano, Freitag, den 30. August 2013, CLIII (197), S. 8.
62. Vgl. Papst FRANZISKUS, Vigil von Pfingsten mit den kirchlichen Bewegungen, neuen Gemeinschaften, kirchlichen Verbänden und Laienvereinigungen. Rom, den 18. Mai 2013, in: Acta Apostolicae Sedis 105 (2013), S. 450-452.
63. Ebd.
64. Papst FRANZISKUS, Für eine Kirche frei von Weltlichkeit. Begegnung mit den von der Caritas betreuten Armen, Arbeitslosen und Zuwanderern. Assisi, den 4. Oktober 2013, in: Osservatore Romano, Samstag, den 5. Oktober 2013, CLIII (228), S. 7.
65. Papst FRANZISKUS, Erneuerung ohne Furcht. Morgenbetrachtung in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta (6. Juli 2013), in: Osservatore Romano, Sonntag, den 7. Juli 2013, CLIII (154), S. 7.
66. Antonio SPADARO, Intervista a Papa Francesco, in: La Civiltà Cattolica, 164 (2013/III), S. 474.
67. Vgl. Papst FRANZISKUS, Die Apokalypse, die nicht kommen wird. Begegnung mit der akademisch-kulturellen Welt. Cagliari, den 22. September 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 23./24. September 2013, CLIII (218), S. 7.
68. Papst FRANZISKUS, Die Herausforderung des Dialogs und der Begegnung. Treffen mit brasilianischen Führungskräften. Rio de Janiero, den 27. Juli 2013, in: Osserva-tore Romano, Montag/Dienstag, den 29./30. Juli 2013, CLIII (173), S. 4.
69. Vgl. Papst FRANZISKUS, Grenzgänger. Ansprache an die Autorengemeinschaft von „La Civiltà Cattolica“. Rom, den 14. Juni 2013, in: Osservatore Romano, Samstag, den 15. Juni 2013, CLIII (136), S. 7.
70. Evangelii gaudium, Nr. 45.
71. Ebd.
72. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
73. Papst FRANZISKUS, Mit der Unruhe des Herzens. Homilie zu Beginn des Generalka-pitels des Augustinerordens. Rom, den 28. August 2013, in: Osservatore Romano, Frei-tag, den 30. August 2013, CLIII (197), S. 8.
74. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
75. Ebd.
76. Papst FRANZISKUS, Mit der Unruhe des Herzens. Homilie zu Beginn des General-kapitels des Augustinerordens. Rom, den 28. August 2013, in: Osservatore Romano, Freitag, den 30. August 2013, CLIII (197), S. 8.
77. Ebd.
78. Papst FRANZISKUS, Authentisch und folge-richtig. Begegnung mit Seminaristen, Novi-zen und Novizinnen. Rom, den 6. Juli 2013, in: Osservatore Romano, Montag/Dienstag, den 8./9. Juli 2013, CLIII (155), S. 6.
79. Papst FRANZISKUS, Jene, die zu warten wissen. Feierliche Vesper mit der Gemeinschaft der Kamaldulenserinnen. Rom, den 21. November 2013, in: Osservatore Romano, Samstag, den 23. November 2013, CLIII (269), S. 7.
80. Papst FRANZISKUS, Mit der Unruhe des Herzens. Homilie zu Beginn des Generalka-pitels des Augustinerordens. Rom, den 28. August 2013, in: Osservatore Romano, Frei-tag, den 30. August 2013, CLIII (197), S. 8.
81. Papst FRANZISKUS, Die Gesellschaft der Unruhigen. Homilie bei der heiligen Messe in der Kirche Il Gesù am Gedenktag des Namens Jesu [Dankmesse zur Heiligsprechung von Peter Faber]. Rom, den 3. Januar 2014, in: Osservatore Romano, Samstag, den 4. Januar 2014, CLIV (02), S. 7.
82. Papst BENEDIKT XVI., Jene stille Kraft, die den Lärm der Mächtigen besiegt. Betrachtung bei der Generalaudienz. Rom, den 19. Dezember 2012, in: Osservatore Romano, Donnerstag, den 20. Dezember 2012, CLII (292), S. 8.
83. AMBROSIUS VON MAILAND, Expositio Evangelii secundum Lucam, II,19: CCL 14, S. 39.
84. Evangelii gaudium, Nr. 288.
"Ihr habt eine große Geschichte aufzubauen!"
Liebe Frauen und Männer geweihten Lebens,
ich schreibe an euch als Nachfolger des Apostels Petrus, dem Jesus, der Herr, die Aufgabe anvertraut hat, die Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32), und ich schreibe an euch als euer Bruder, der wie ihr Gott geweiht ist.
Danken wir gemeinsam dem Vater, der uns berufen hat, Jesus in vollkommener Ausrichtung nach seinem Evangelium und im Dienst der Kirche nachzufolgen. Er hat in unsere Herzen den Heiligen Geist eingegossen, der uns Freude schenkt und uns vor der ganzen Welt seine Liebe und seine Barmherzigkeit bezeugen lässt.
Anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium, die im 6. Kapitel von den Ordensleuten handelt, wie auch des Dekretes Perfectae caritatis über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens habe ich mich entsprechend dem Wunsch vieler von euch wie auch der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens entschlossen, ein Jahr des geweihten Lebens auszurufen. Es wird am kommenden 30. November, dem ersten Adventssonntag, beginnen und mit dem Fest der Darstellung Jesu im Tempel am 2. Februar 2016 enden.
Nach Anhörung der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens habe ich als Ziele dieses Jahres dieselben bestimmt, die der heilige Johannes Paul II. der Kirche zu Beginn des dritten Jahrtausends vorgeschlagen hatte, und so in gewisser Weise das wieder aufgenommen, was er bereits in dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Vita consecrata empfohlen hatte: » Ihr sollt euch nicht nur einer glanzvollen Geschichte erinnern und darüber erzählen, sondern ihr habt eine große Geschichte aufzubauen! Blickt in die Zukunft, in die der Geist euch versetzt, um durch euch noch große Dinge zu vollbringen « (Nr. 110).
I – Die Ziele für das Jahr des geweihten Lebens
1. Das erste Ziel ist, dankbar auf die Vergangenheit zu schauen. Jedes unserer Institute kommt aus einer reichen charismatischen Geschichte. An seinem Ursprung steht das Handeln Gottes, der in seinem Geist einige Menschen in die engere Nachfolge Christi ruft, um das Evangelium in eine besondere Lebensform zu übertragen, die Zeichen der Zeit mit den Augen des Glaubens zu lesen und mit Kreativität auf die Bedürfnisse der Kirche zu antworten. Die Anfangserfahrung ist dann gewachsen und hat sich durch die Einbeziehung weiterer Mitglieder in neuen geographischen und kulturellen Umfeldern entwickelt. So wurden neue Weisen, das Charisma zu verwirklichen, ins Leben gerufen und neue Initiativen und Ausdrucksformen apostolischer Liebe verwirklicht. Das ist wie der Same, der zum Baum wird und seine Zweige ausbreitet.
In diesem Jahr wird es zweckmäßig sein, wenn jede charismatische Familie sich ihrer Anfänge und ihrer geschichtlichen Entwicklung erinnert, um Gott zu danken, der der Kirche so viele Gaben geschenkt hat, die ihr Schönheit verleihen und sie für jede Art guter Werke ausrüsten (vgl. Lumen gentium, 12).
Die eigene Geschichte zu erzählen ist unerlässlich, um die Identität lebendig zu erhalten wie auch um die Einheit der Familie und das Zugehörigkeitsgefühl ihrer Mitglieder zu festigen. Es geht nicht darum, Archäologie zu betreiben oder nutzlose Nostalgien zu pflegen, sondern vielmehr darum, den Weg der vergangenen Generationen nachzugehen, um auf ihm den inspirierenden Funken, die hohen Bestrebungen, die Pläne und die Werte wahrzunehmen, die sie bewegt haben, angefangen von den Gründern, den Gründerinnen und den ersten Gemeinschaften. Es ist auch eine Weise, sich bewusst zu werden, wie das Charisma im Laufe der Geschichte gelebt wurde, welche Kreativität es freigesetzt hat, welchen Schwierigkeiten es sich stellen musste und wie diese überwunden wurden. Man wird Widersprüchlichkeiten entdecken können, Frucht der menschlichen Schwächen, manchmal vielleicht auch das Vergessen wesentlicher Aspekte des Charismas. Alles ist lehrreich und wird zugleich ein Aufruf zur Umkehr. Die eigene Geschichte zu erzählen bedeutet, Gott zu loben und ihm zu danken für all seine Gaben.
Wir danken ihm in besonderer Weise für diese letzten 50 Jahre, die auf das Zweite Vatikanische Konzil folgten, das einen „Windstoß“ Heiligen Geistes für die ganze Kirche darstellte. Dank dem Konzil hat das geweihte Leben einen fruchtbaren Weg der Erneuerung zurückgelegt, der mit seinen Licht- und seinen Schattenseiten eine Zeit der Gnade war, gekennzeichnet von der Gegenwart des Geistes.
Möge dieses Jahr des geweihten Lebens auch eine Gelegenheit sein, in Demut und zugleich mit großem Vertrauen auf den Gott, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,8), die eigene Gebrechlichkeit zu gestehen und sie als Erfahrung der barmherzigem Liebe des Herrn zu leben; eine Gelegenheit, der Welt mit Nachdruck zuzurufen und voll Freude zu bezeugen, welche Heiligkeit und Lebendigkeit in einem großen Teil derer zugegen ist, die berufen wurden, Christus im geweihten Leben nachzufolgen.
2. Dieses Jahr fordert uns außerdem auf, die Gegenwart mit Leidenschaft zu leben. Die dankbare Erinnerung an die Vergangenheit drängt uns, im aufmerksamen Hinhören auf das, was der Geist heute der Kirche sagt, die grundlegenden Aspekte unseres geweihten Lebens immer tiefgreifender zu verwirklichen.
Vom Beginn des ersten Mönchtums an bis zu den heutigen „neuen Gemeinschaften“ ist jede Form geweihten Lebens aus dem Ruf des Geistes hervorgegangen, Christus so nachzufolgen, wie es im Evangelium gelehrt wird (vgl. Perfectae caritatis, 2). Für die Gründer und Gründerinnen war das Evangelium die Regel schlechthin, jede andere Regel wollte nur ein Ausdruck des Evangeliums sein und ein Hilfsmittel, es in Fülle zu leben. Ihr Ideal war Christus, sich ganz und gar ihm zu verbinden bis zu dem Punkt, mit Paulus sagen zu können: » Für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn « (Phil 1,21); die Gelübde hatten nur den Sinn, diese ihre leidenschaftliche Liebe zu verwirklichen.
Die Frage, die wir in diesem Jahr uns zu stellen berufen sind, ist, ob und wie auch wir uns vom Evangelium hinterfragen lassen; ob es wirklich das „Vademecum“ für das Alltagsleben und für die Entscheidungen ist, die wir treffen müssen. Es ist anspruchsvoll und erwartet, mit Radikalität und Aufrichtigkeit gelebt zu werden. Es reicht nicht, es zu lesen (auch wenn Lektüre und Studium äußerst wichtig bleiben), es reicht nicht, es zu meditieren (und das tun wir mit Freude jeden Tag). Jesus verlangt von uns, es zu verwirklichen, seine Worte zu leben.
Ist Jesus wirklich die erste und einzige Liebe – müssen wir uns weiter fragen –, wie wir es uns vorgenommen haben, als wir unsere Gelübde ablegten? Nur wenn er das ist, dürfen und müssen wir in der Wahrheit und in der Barmherzigkeit jeden Menschen lieben, der uns auf unserem Weg begegnet, denn wir haben dann von ihm gelernt, was Liebe ist und wie man liebt: Wir werden zu lieben verstehen, weil wir sein eigenes Herz haben.
Unsere Gründer und Gründerinnen haben in sich das Mitleid verspürt, von dem Jesus ergriffen wurde, als er die Menschenmenge wie zerstreute Schafe ohne Hirten sah. Wie Jesus, bewegt von diesem Mitleid, sein Wort geschenkt, die Kranken geheilt, Brot zu essen gegeben, sein eigenes Leben geopfert hat, so haben sich auch die Gründer in den Dienst der Menschheit begeben, zu der der Geist sie sandte, und zwar auf verschiedenste Weise: durch die Fürbitte, die Verkündigung des Evangeliums, die Katechese, das Unterrichten, den Dienst an den Armen, an den Kranken… Die Fantasie der Liebe kannte keine Grenzen und hat unzählige Wege zu öffnen verstanden, um den Atem des Evangeliums in die Kulturen und in die unterschiedlichsten sozialen Bereiche zu tragen.
Das Jahr des geweihten Lebens befragt uns nach der Treue zu der Sendung, die uns anvertraut worden ist. Entsprechen unsere Dienste, unsere Werke, unser Zugegensein dem, was der Geist von unseren Gründern verlangt hat; sind sie geeignet, dessen Ziele in der Gesellschaft und der Kirche von heute zu verfolgen? Gibt es etwas, das wir ändern müssen? Haben wir die gleiche Leidenschaft für unsere Leute, sind wir ihnen so nahe, dass wir ihre Freuden und ihre Leiden teilen, sodass wir wirklich ihre Bedürfnisse verstehen und unseren Beitrag leisten können, um darauf einzugehen? » Die gleiche Großherzigkeit und Opferbereitschaft, von denen die Gründer getrieben waren «, verlangte bereits Johannes Paul II., » sollen auch euch, ihre geistigen Söhne und Töchter, bewegen, die Charismen lebendig zu erhalten. Mit der Kraft des Geistes selbst, der sie erweckt hat, nehmen sie an Reichtum zu und passen sich an, ohne ihren ursprünglichen Charakter zu verlieren, um sich in den Dienst der Kirche zu stellen und die Errichtung des Gottesreiches zur Vollendung zu führen. «[1]
Beim Gedenken an die Ursprünge kommt eine weitere Komponente des Projekts des geweihten Lebens ans Licht. Gründer und Gründerinnen waren fasziniert von der Einheit der Zwölf, die Jesus umgaben, von der Communio, welche die Urgemeinde von Jerusalem auszeichnete. Als sie ihre eigene Gemeinschaft ins Leben riefen, wollte jeder und jede von ihnen jene Modelle des Evangeliums nachbilden: ein Herz und eine Seele zu sein und sich der Gegenwart des Herrn zu erfreuen (vgl. Perfectae caritatis, 15).
Die Gegenwart mit Leidenschaft zu leben bedeutet, » Experten des gemeinschaftlichen Lebens « zu werden, » Zeugen und Baumeister im Sinne jenes göttlichen Planes für Gemeinschaft […], der die Geschichte der Menschen krönen soll «[2]. In einer Gesellschaft der Auseinandersetzung, des schwierigen Zusammenlebens zwischen verschiedenen Kulturen, der Übergriffe auf die Schwächsten und der Ungleichheiten sind wir berufen, ein konkretes Vorbild von Gemeinschaft zu bieten, in der es möglich ist, durch die Anerkennung der Würde jedes Menschen und der Gemeinsamkeit der Gabe, die jeder mitbringt, in brüderlichen Beziehungen zu leben.
Seid also Frauen und Männer der Communio, seid mutig zugegen, wo es Uneinigkeiten und Spannungen gibt, und seid ein glaubwürdiges Zeichen der Gegenwart des Geistes, der den Herzen die Leidenschaft einflößt, damit alle eins seien (vgl. Joh 17,21). Lebt die Mystik der Begegnung: » die Fähigkeit zu hören, anderen Menschen zuzuhören. Die Fähigkeit, gemeinsam den Weg, die Methode […] zu suchen «[3]. Und lasst euch dabei erleuchten von der Beziehung der Liebe zwischen den drei göttlichen Personen (vgl. 1 Joh 4,8), als Vorbild für alle zwischenmenschlichen Beziehungen.
3. Die Zukunft voll Hoffnung ergreifen will das dritte Ziel dieses Jahres sein. Die Schwierigkeiten, denen das geweihte Leben in seinen verschiedenen Formen entgegengeht, sind uns bekannt: das Nachlassen der Berufungen und die Überalterung, vor allem in der westlichen Welt, die finanziellen Probleme infolge der schweren weltweiten Finanzkrise, die Herausforderungen der Internationalität und der Globalisierung, die verborgene Gefahr des Relativismus, die gesellschaftliche Ausgrenzung und Irrelevanz… Gerade in diesen Unsicherheiten, die wir mit vielen unserer Zeitgenossen teilen, verwirklicht sich unsere Hoffnung, eine Frucht des Glaubens an den Herrn der Geschichte, der uns immer neu zuspricht: » Fürchte dich nicht […] denn ich bin mit dir « (Jer 1,8).
Die Hoffnung, von der wir sprechen, gründet sich nicht auf die Zahlen oder auf die Werke, sondern auf denjenigen, auf den wir unsere Hoffnung gesetzt haben (vgl. 2 Tim 1,12) und für den » nichts unmöglich « ist (Lk 1,37). Das ist die Hoffnung, die nicht enttäuscht und die dem geweihten Leben erlauben wird, in der Zukunft weiter eine bedeutende Geschichte zu schreiben. Auf die Zukunft müssen wir unseren Blick richten, in dem Bewusstsein, dass der Geist uns auf sie zutreibt, um weiterhin Großes mit uns zu vollbringen.
Gebt nicht der Versuchung der Zahlen und der Leistungsfähigkeit nach und noch weniger der, auf die eigenen Kräfte zu vertrauen. Erforscht die Horizonte eures Lebens und des gegenwärtigen Augenblicks in aufmerksamer Wachsamkeit. Mit Benedikt XVI. wiederhole ich euch: » Schließt euch nicht den Unheilpropheten an, die das Ende oder die Sinnlosigkeit des geweihten Lebens in der Kirche unserer Tage verkünden; bekleidet euch vielmehr mit Jesus Christus und legt die Waffen des Lichts an, wie der hl. Paulus mahnt (vgl. Röm 13,11–14), indem ihr wach bleibt und wachsam seid. «[4] Setzen wir unseren Weg fort und nehmen wir ihn immer neu auf im Vertrauen auf den Herrn.
Ich wende mich vor allem an euch junge Menschen. Ihr seid die Gegenwart, denn ihr lebt bereits aktiv im Innern eurer Ordensinstitute und leistet einen entscheidenden Beitrag mit der Frische und der Großherzigkeit eurer Entscheidung. Zugleich seid ihr die Zukunft eurer Gemeinschaften, denn bald werdet ihr berufen sein, die Leitung des geistlichen Lebens, der Bildung, des Dienstes, der Sendung in die Hand zu nehmen. In diesem Jahr werdet ihr die Protagonisten im Dialog mit der Generation sein, die euch vorangeht. In brüderlichem Miteinander könnt ihr euch an ihrer Erfahrung und Weisheit bereichern, und zugleich könnt ihr ihr erneut die Spiritualität vor Augen stellen, von der sie an ihrem Anfang beseelt waren, und den Schwung und die Frische eurer Begeisterung schenken, sodass ihr gemeinsam neue Weisen, das Evangelium zu leben, und immer geeignetere Antworten auf die Anforderungen des Zeugnisses und der Verkündigung erarbeitet.
Es hat mich gefreut, als ich erfuhr, dass ihr Gelegenheiten haben werdet, euch unter euch Jugendlichen verschiedener Institute zu versammeln. Möge die Begegnung ein üblicher Weg des Miteinanders, der gegenseitigen Unterstützung und der Einheit werden.
II – Die Erwartungen für das Jahr des geweihten Lebens
Was erwarte ich mir im Besonderen von diesem Gnadenjahr des geweihten Lebens?
1. Dass immer gilt, was ich einmal gesagt habe: » Wo Ordensleute sind, da ist Freude «. Wir sind gerufen, zu erfahren und zu zeigen, dass Gott fähig ist, unser Herz zu erfüllen und uns glücklich zu machen, ohne dass wir anderswo unsere Glückseligkeit zu suchen brauchen; dass die echte Geschwisterlichkeit, die wir in unseren Gemeinschaften leben, unsere Freude nährt; dass unsere Ganzhingabe im Dienst der Kirche, an den Familien, den Jugendlichen, den Alten, den Armen uns als Menschen verwirklicht und unser Leben erfüllt.
Dass man unter uns keine traurigen Gesichter sieht, keine unzufriedenen und unbefriedigten Menschen, denn „eine Nachfolge in Traurigkeit ist ein Trauerzug“. Wie alle anderen Menschen erleben wir Schwierigkeiten, dunkle Nächte des Geistes, Enttäuschungen, Krankheiten, das altersbedingte Schwinden der Kräfte. Genau darin sollten wir unsere „vollkommene Freude“ finden: lernen, das Antlitz Christi zu erkennen, der uns in allem ähnlich geworden ist, und so die Freude zu verspüren, uns ihm ähnlich zu wissen, der aus Liebe zu uns es nicht zurückgewiesen hat, das Kreuz zu erleiden.
In einer Gesellschaft, die den Kult der Leistungsfähigkeit, eines übertriebenen Gesundheitsbewusstseins und des Erfolgs zur Schau stellt, während sie die Armen ausgrenzt und die „Verlierer“ ausschließt, können wir durch unser Leben die Wahrheit der Worte der Schrift bezeugen: »Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2 Kor 12,10).
Auf das geweihte Leben können wir gut anwenden, was ich im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium mit Hinweis auf eine Predigt Benedikts XVI. geschrieben habe: » Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus, sondern durch Anziehung « (Nr. 14). Ja, das geweihte Leben erfährt keinen Zuwachs, wenn wir schöne Berufungskampagnen organisieren, sondern wenn die jungen Menschen, die uns begegnen, sich von uns angezogen fühlen, wenn sie uns als glückliche Männer und Frauen sehen! Ebenso hängt seine apostolische Wirksamkeit nicht von der Effizienz und der Kraft seiner Mittel ab. Euer Leben ist es, das sprechen muss – ein Leben, das die Freude und die Schönheit, das Evangelium zu leben und Christus nachzufolgen, zum Ausdruck bringt.
Auch zu euch sage ich, was ich bei der vergangenen Pfingstvigil den kirchlichen Bewegungen gesagt habe: » Der Wert der Kirche ist grundsätzlich, das Evangelium zu leben und Zeugnis für unseren Glauben zu geben. Die Kirche ist Salz der Erde, ist Licht der Welt, sie ist berufen, in der Gesellschaft den Sauerteig des Gottesreiches zu vergegenwärtigen, und das tut sie vor allem mit ihrem Zeugnis, dem Zeugnis der Bruderliebe, der Solidarität, des Teilens« (18. Mai 2014).
2. Ich erwarte, dass ihr „die Welt aufweckt“, denn das Merkmal, das das geweihte Leben kennzeichnet, ist die Prophetie. Wie ich zu den Ordensoberen gesagt habe, » gehört die evangeliumsgemäße Radikalität nicht nur den Ordensleuten, sie wird von allen verlangt. Aber die Ordensleute folgen dem Herrn auf besondere Art, auf prophetische Weise «. Das ist die Priorität, die jetzt verlangt wird: » Propheten sein, die Zeugnis geben, wie Jesus auf dieser Erde gelebt hat. … Nie darf ein Ordensangehöriger der Prophetie entsagen« (29. November 2013).
Der Prophet empfängt von Gott die Fähigkeit, die Geschichte, in der er lebt, zu beobachten und die Ereignisse zu deuten: Er ist wie ein Wächter, der in der Nacht wacht und weiß, wann der Morgen kommt (vgl. Jes 21,11-12). Er kennt Gott, und er kennt die Menschen, seine Brüder und Schwestern. Er ist fähig, zu unterscheiden und das Übel der Sünde und die Ungerechtigkeiten öffentlich anzuklagen, weil er frei ist, weil er sich keinem anderen Herrn verantworten muss außer Gott, keine anderen Interessen hat als die Gottes. Der Prophet steht gewöhnlich auf der Seite der Armen und Wehrlosen, weil er weiß, dass Gott selbst auf ihrer Seite steht.
Ich erwarte mir also nicht, dass ihr „Utopien“ am Leben erhaltet, sondern dass ihr „andere Orte“ zu schaffen versteht, wo die Logik des Evangeliums gelebt wird, die Logik der Hingabe, der Brüderlichkeit, der Annahme der Verschiedenheit, der gegenseitigen Liebe. Klöster, Gemeinschaften, Spiritualitätszentren, Zitadellen [d. h. Dorfgemeinschaften einer religiösen Bewegung, (Anm. d. Übers.)], Schulen, Krankenhäuser, Häuser zur Aufnahme von Familien und all jene Orte, die dank der Nächstenliebe und der charismatischen Kreativität entstanden sind und künftig durch weitere Kreativität entstehen werden, müssen immer mehr zum Sauerteig für eine Gesellschaft werden, die sich am Evangelium inspiriert, zur „Stadt auf dem Berg“, welche die Wahrheit und die Kraft der Worte Jesu ausdrückt.
Wie bei Elija und Jona kann mitunter die Versuchung kommen, zu fliehen, sich der Aufgabe eines Propheten zu entziehen, weil sie zu viel verlangt, weil man müde ist, enttäuscht von den Ergebnissen. Doch der Prophet weiß, dass er nie allein ist. Wie dem Jeremia versichert Gott auch uns: » Fürchte dich nicht … denn ich bin mit dir, um dich zu retten « (Jer 1,8).
3. Die Ordensmänner und Ordensfrauen, so wie alle anderen geweihten Personen, sind berufen, „Experten der Communio“ zu sein. Ich erwarte daher, dass die „Spiritualität der Gemeinschaft“, auf die der heilige Johannes Paul II. hingewiesen hat, Wirklichkeit wird und dass ihr in vorderster Linie steht, um » die große Herausforderung « zu ergreifen, die in diesem neuen Jahrtausend vor uns liegt: » die Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft [zu] machen «[5]. Ich bin mir sicher, dass ihr in diesem Jahrernsthaft arbeiten werdet, damit das Ideal der Geschwisterlichkeit, das die Gründer und Gründerinnen verfolgt haben, auf den verschiedensten Ebenen wie in konzentrischen Kreisen wächst.
Das gemeinschaftliche Miteinander wird zunächst innerhalb der jeweiligen Hausgemeinschaften des Instituts praktiziert. Diesbezüglich lade ich euch ein, meine häufigen Bemerkungen zu diesem Thema zu lesen, in denen ich nicht müde werde zu wiederholen, dass Kritiksucht, Tratsch, Neid, Eifersucht, Antagonismen Haltungen sind, die in euren Häusern nichts verloren haben. Unter dieser Voraussetzung aber ist der Weg der Nächstenliebe, der sich vor uns auftut, gleichsam unendlich, denn es geht darum, nach gegenseitiger Annahme und Aufmerksamkeit zu streben, die Gemeinschaft der materiellen und geistlichen Güter, die correctio fraterna, den Respekt gegenüber den Schwächsten zu praktizieren … Es ist » die „Mystik“ […], die darin liegt, zusammen zu leben « und die aus unserem Leben eine »heilige Wallfahrt«[6] macht. Wir müssen uns auch nach der Beziehung zwischen den Menschen unterschiedlicher Kulturen fragen, in Anbetracht der Tatsache, dass unsere Gemeinschaften immer internationaler werden. Wie kann man es möglich machen, dass jeder sich äußert, mit seinen besonderen Gaben angenommen wird, voll und ganz Mitverantwortung erhält?
Ferner erwarte ich mir, dass die Gemeinschaft zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Institute wächst. Könnte dieses Jahrnicht die Gelegenheit dazu sein, mutiger über die Grenzen des eigenen Instituts hinauszugehen, um auf lokaler und globaler Ebene zusammen gemeinsame Projekte für die Bildung, die Evangelisierung und für soziale Maßnahmen zu erarbeiten? Auf diese Weise kann ein wirkliches prophetisches Zeugnis wirksamer gegeben werden. Die Gemeinschaft und die Begegnung zwischen unterschiedlichen Charismen und Berufungen ist ein Weg der Hoffnung. Niemand baut die Zukunft auf, indem er sich absondert, noch allein aus eigenen Kräften, sondern indem er sich mit der Wahrheit einer Gemeinschaft identifiziert, die sich immer öffnet für die Begegnung, den Dialog, das Zuhören, die gegenseitige Hilfe und die uns vor der Krankheit der Selbstbezogenheit bewahrt.
Zugleich ist das geweihte Leben berufen, eine aufrichtige Synergie zwischen allen Berufungen in der Kirche anzustreben, angefangen von den Priestern und den Laien, um so » die Spiritualität der Gemeinschaft vor allem innerhalb der eigenen Gemeinschaft und dann in der kirchlichen Gemeinschaft und über deren Grenzen hinaus […] zu stärken «[7].
4. Weiter erwarte ich von euch, worum ich alle Glieder der Kirche bitte: aus sich herauszugehen, um zu den existenziellen Peripherien zu gehen. » Geht hinaus in die ganze Welt «, war das letzte Wort, das Jesus an die Seinen richtete und das er heute immer noch an uns alle richtet (vgl. Mk 16,15). Da ist eine ganze Menschheit, die wartet: Menschen, die jede Hoffnung verloren haben; Familien in Not; sich selbst überlassene Kinder; Jugendliche, denen jede Zukunft versperrt ist; Kranke und verlassene Alte; Reiche, die satt sind an Gütern und im Herzen eine Leere haben, Männer und Frauen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, dürstend nach dem Göttlichen…
Zieht euch nicht in euch selbst zurück, lasst euch nicht von den kleinen Streitereien zu Hause belästigen, bleibt nicht Gefangene eurer Probleme. Diese lösen sich, wenn ihr hinausgeht, um den anderen zu helfen, ihre Probleme zu lösen, und um die gute Nachricht zu verkünden. Ihr werdet das Leben finden, wenn ihr das Leben hingebt, die Hoffnung, wenn ihr Hoffnung gebt, die Liebe, wenn ihr liebt.
Ich erwarte von euch konkrete Taten der Aufnahme von Flüchtlingen, der Nähe zu den Armen und der Kreativität in der Katechese, in der Verkündigung des Evangeliums, in der Einführung in das Gebetsleben. Folglich erhoffe ich eine Verschlankung der Strukturen, die Wiederverwendung der großen Häuser für Werke, die den gegenwärtigen Erfordernissen der Evangelisierung und der Nächstenliebe mehr entsprechen, und die Anpassung der Werke an die neuen Bedürfnisse.
5. Ich erwarte mir, dass sich jede Form des geweihten Lebens fragt, was Gott und die Menschheit heute verlangen.
Die Klöster und Gruppen kontemplativer Ausrichtung könnten sich untereinander treffen oder sich auf verschiedenste Weise in Verbindung setzen, um ihre Erfahrungen bezüglich des Gebetslebens auszutauschen, um sich darüber auszutauschen, wie man in der Gemeinschaft mit der ganzen Kirche wachsen und wie man den verfolgten Christen helfen kann, wie man die Menschen, die auf der Suche nach einem intensiveren geistlichen Leben sind oder moralische bzw. materielle Unterstützung brauchen, aufnehmen und begleiten kann.
Das Gleiche können die karitativen Institute tun, die Institute, die sich dem Unterricht, der Förderung der Kultur widmen, die Institute, die sich für die Verkündigung des Evangeliums einsetzen oder besondere pastorale Dienste ausüben, die Säkularinstitute mit ihrer vielfachen Präsenz in den gesellschaftlichen Strukturen. Die Fantasie des Heiligen Geistes hat so verschiedene Arten des Lebens und der Werke hervorgebracht, dass wir sie nicht leicht katalogisieren oder in vorgefertigte Schablonen einordnen können. Es ist mir daher nicht möglich, auf jede einzelne Form von Charismen Bezug zu nehmen. Trotzdem sollte in diesem Jahr sich niemand einer ernsthaften Überprüfung seiner Präsenz im Leben der Kirche entziehen wie auch seiner Art und Weise, auf die ständigen und neuen Fragen, die sich um uns herum erheben, und auf den Schrei der Armen zu antworten.
Nur in dieser Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürfnissen der Welt und im folgsamen Hinhören auf die Eingaben des Heiligen Geistes wird dieses Jahr des geweihten Lebens zu einem echten kairòs werden, zu einer Zeit Gottes, reich an Gnaden und Verwandlung.
III – Die Horizonte des Jahres des geweihten Lebens
1. Mit diesem meinem Schreiben wende ich mich, über die geweihten Personen hinaus, an die Laien, die mit ihnen die Ideale, den Geist und die Sendung teilen. Einige Ordensinstitute haben diesbezüglich eine alte Tradition, andere eine jüngere Erfahrung. Tatsächlich gibt es im Umkreis jeder Ordensfamilie wie auch der Gesellschaften apostolischen Lebens und selbst der Säkularinstitute eine größere Familie, die „charismatische Familie“. Diese umfasst mehrere Institute, die das gleiche Charisma haben, und vor allem christliche Laien, die sich berufen fühlen, gerade in ihrem Laienstand an derselben charismatischen Wirklichkeit teilzuhaben.
Ich ermutige auch euch Laien, dieses Jahr des geweihten Lebens als eine Gnade zu erleben, die euch die empfangene Gabe mehr zu Bewusstsein führen kann. Feiert es mit der ganzen „Familie“, um gemeinsam zu wachsen und auf die Rufe des Geistes in der heutigen Gesellschaft zu antworten. Bei einigen Gelegenheiten, wenn die geweihten Mitglieder verschiedener Orden sich in diesemJahr untereinander treffen, richtet es so ein, dass auch ihr zugegen seid als Ausdruck der einen Gabe Gottes. So werdet ihr die Erfahrungen der anderen charismatischen Familien und der anderen Laiengruppen kennen lernen und euch gegenseitig bereichern und unterstützen.
2. Das Jahr des geweihten Lebens betrifft nicht nur die geweihten Personen, sondern die gesamte Kirche. So wende ich mich an das ganze Volk Gottes, dass es sich des Geschenkes immer bewusster werde, das in der Gegenwart vieler Ordensfrauen und -männer besteht; sie sind die Erben großer Heiliger, welche die Geschichte des Christentums bestimmt haben. Was wäre die Kirche ohne den heiligen Benedikt und den heiligen Basilius, ohne den heiligen Augustinus und den heiligen Bernhard, ohne den heiligen Franziskus und den heiligen Dominikus, ohne den heiligen Ignatius von Loyola und die heilige Teresa von Avila, ohne die heilige Angela Merici und den heiligen Vinzenz von Paul? Man könnte die Aufzählung fast unbegrenzt fortsetzen, bis zum heiligen Johannes Bosco und der seligen Teresa von Kalkutta. Zu Recht betonte der selige Papst Paul VI.: » Ohne dieses konkrete Zeichen bestünde die Gefahr, dass die Liebe, welche die Kirche beseelt, erkaltet, das heilbringende Paradox des Evangeliums entschärft wird, das „Salz“ des Glaubens sich auflöst in einer Welt, die immer mehr der Säkularisierung verfällt « (Evangelica testificatio, 3).
Ich lade also alle christlichen Gemeinden ein, dieses Jahr vor allem als einen Dank an den Herrn zu leben und dankbar der Gaben zu gedenken, die wir durch die Heiligkeit der Gründer und Gründerinnen und durch die Treue so vieler Ordensleute zu ihrem Charisma erhalten haben und immer noch erhalten. Ich lade euch alle ein, euch um die geweihten Personen zu scharen, euch mit ihnen zu freuen, ihre Schwierigkeiten zu teilen und im Rahmen des Möglichen mit ihnen zusammenzuarbeiten für die Fortsetzung ihres Dienstes und ihres Werkes, die letztlich der ganzen Kirche gehören. Lasst sie die Liebe und die Herzlichkeit des ganzen christlichen Volkes spüren.
Ich preise den Herrn für das glückliche Zusammentreffen des Jahres des geweihten Lebens mit der Synode über die Familie. Familie und geweihtes Leben sind Berufungen, die Reichtum und Gnade für alle bringen, Räume der Humanisierung im Aufbau lebendiger Beziehungen, Orte der Evangelisierung. Man kann sich gegenseitig helfen.
3. Mit diesem meinem Schreiben wage ich, mich auch an die geweihten Personen und an die Mitglieder von Bruderschaften und Gemeinschaften zu wenden, die Kirchen mit Traditionen angehören, die sich von der der katholischen Tradition unterscheiden. Das Mönchtum ist ein Erbe der ungeteilten Kirche, das sowohl in den orthodoxen Kirchen als auch in der katholischen Kirche noch sehr lebendig ist. An ihm wie an anderen späteren Erfahrungen aus der Zeit, in der die Kirche des Westens noch vereint war, orientieren sich analoge Initiativen, die im Bereich der kirchlichen Gemeinschaften der Reform entstanden sind; diese haben dann in ihrem Innern weitere Formen von Gemeinschaften der Brüderlichkeit und des Dienstes hervorgebracht.
Die Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens hat Initiativen geplant, um Begegnungen von Mitgliedern herbeizuführen, die der Praxis des geweihten und brüderlichen Lebens der verschiedenen Kirchen angehören. Zu diesen Begegnungen ermutige ich nachdrücklich, damit man einander besser kennen und schätzen lernt und die wechselseitige Zusammenarbeit zunimmt, so dass die Ökumene des geweihten Lebens hilfreich sei für den umfassenderen Weg zur Einheit unter allen Kirchen.
4. Wir dürfen außerdem nicht vergessen, dass das Phänomen des Mönchtums und anderer Formen religiöser Brüderlichkeit in allen großen Religionen vorhanden ist. Es fehlt nicht an Erfahrungen auch fundierten inter-monastischen Dialogs zwischen der katholischen Kirche und einigen der großen religiösen Traditionen. Ich wünsche mir, dass das Jahr des geweihten Lebens die Gelegenheit sei, um den zurückgelegten Weg zu beurteilen, um die geweihten Personen auf diesem Gebiet zu sensibilisieren und um uns zu fragen, welche weiteren Schritte zu unternehmen sind für eine immer gründlichere gegenseitige Kenntnis und für eine Zusammenarbeit in vielen allgemeinen Bereichen des Dienstes am menschlichen Leben.
Gemeinsam gehen ist immer eine Bereicherung und kann neue Wege öffnen zu Beziehungen zwischen Völkern und Kulturen – Beziehungen, die in dieser Zeit mit Schwierigkeiten überhäuft zu sein scheinen.
5. Schließlich wende ich mich in besonderer Weise an meine Mitbrüder im Bischofsamt. Möge dieses Jahr eine Gelegenheit sein, das geweihte Leben von Herzen und mit Freuden aufzunehmen als ein geistliches Kapital, das reiche Hilfen bietet zum Besten des ganzen Leibes Christi und nicht nur zu dem der Ordensfamilien (vgl. Lumen gentium, 43). » Das geweihte Leben ist ein Geschenk an die Kirche, es entsteht in der Kirche, wächst in der Kirche und ist ganz und gar auf die Kirche hin ausgerichtet «.[8] Als Geschenk an die Kirche ist es darum keine isolierte Randerscheinung, sondern ist ihr zuinnerst verbunden. Es steht im Mittelpunkt der Kirche selbst als entscheidendes Element ihrer Sendung, insofern es das innerste Wesen der christlichen Berufung und das Streben der gesamten Kirche als Braut zur Vereinigung mit dem einzigen Bräutigam ausdrückt: Es » gehört […] unerschütterlich zu ihrem Leben und ihrer Heiligkeit « (Lumen gentium, 44).
In diesem Zusammenhang lade ich euch Hirten der Teilkirchen ein, mit besonderem Eifer die verschiedenen Charismen – sowohl die historischen als auch die neuen – in euren Gemeinschaften zu fördern, indem ihr sie unterstützt, anregt, bei der Unterscheidung helft; indem ihr in Situationen des Leidens und der Schwäche, in denen manch geweihte Person sich befinden kann, zärtlich liebevolle Nähe zeigt und vor allem indem ihr mit eurer Verkündigung das Volk Gottes über den Wert des geweihten Lebens aufklärt, so dass ihr dessen Schönheit und Heiligkeit in der Kirche erstrahlen lasst.
Maria, der hörenden und betrachtenden Jungfrau, der ersten Jüngerin ihres geliebten Sohnes, vertraue ich dieses Jahr des geweihten Lebens an. Auf sie, die bevorzugte Tochter des himmlischen Vaters, die mit allen Gnadengaben erfüllt ist, schauen wir als das unübertreffliche Vorbild der Nachfolge in der Liebe zu Gott und im Dienst am Nächsten.
Schon jetzt mit euch allen im Dank verbunden für die Geschenke an Gnade und Licht, mit denen der Herr uns bereichern wird, begleite ich euch alle mit dem Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 21. November 2014, dem Fest der Darstellung der Allerseligsten Jungfrau Maria
Franziskus
FUSSNOTEN
[1] Apostolisches Schreiben Los caminos del Evangelio, an die Ordensleute Lateinamerikas anlässlich des 500. Jubiläums der Evangelisierung der Neuen Welt (29. Juni 1990), 26.
[2] Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute, Das Ordensleben und die Förderung des Menschen (12. August 1980), 24 (ital. Text: L’Osservatore Romano, Suppl. 12. Nov. 1980, S. I-VIII).
[3] Papst Franziskus, Ansprache an die Rektoren und Alumnen der päpstlichen Kollegien und Konvikte in Rom (12. Mai 2014).
[4] Predigt am Fest der Darstellung des Herrn im Tempel (2. Februar 2013).
[5] Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte (6. Januar 2001), 43.
[6] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 87.
[7] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita consecrata (25. März 1996), 51.
[8] Erzbischof J. M. Bergoglio,Beitrag auf der Synode über das geweihte Leben und seine Sendung in der Kirche und in der Welt, 16. Generalkongregation, 13. Oktober 1994.